Diese Kritik enthält Spoiler.
„The bugger got bugged!“
THE CONVERSATION beginnt mit der Eröffnungssequenz beinahe trocken und sachlich. Wir beobachten wie Harry Caul mit seinem Team das Gespräch eines jungen Pärchens abhört. Oberflächlich deutet nichts auf die sich nachfolgend entwickelnde dichte Atmosphäre von Angst und Paranoia hin, die sich am Ende des Films bis zum Verschwimmen von Realität und Wahnvorstellung steigert. So folgen wir Harry Caul anfangs nichtsahnend durch seinen Alltag, schauen ihm bei der Arbeit über die Schulter und werden mit vielerlei absurd wirkendem Verhalten des Abhörspezialisten konfrontiert.
Caul ist ein wirklich komischer Kerl. Die Flasche Wein seiner Vermieterin zu seinem Geburtstag verwirrt ihn zutiefst. Woher wisse sie bitte von seinem Geburtstag und wie sei sie ohne den Alarm auszulösen in seine mit 3 Türschlössern gesicherte Wohnung gekommen um den Wein dort abzustellen, fragt er sie am Telefon. Das Telefon, von dem er vor jedem behauptet es nicht zu besitzen und das er in einer Schreibtischschublade versteckt. Ja, Harry Caul ist in der Tat ein wirklich komischer Kerl, aber diese Schlussfolgerung ziehen wir erst verzögert und nicht, wie man vielleicht vermuten könnte unmittelbar während der jeweiligen Szene, die eine von Cauls merkwürdigen Verhaltensweisen zeigt. Denn THE CONVERSATION schafft es durch sehr subtile Art und Weise uns in die Position von Harry Caul zu versetzen. Wir fragen uns genau wie er, wie zum Henker die Vermieterin die Flasche Wein in die Wohnung bekommen hat. Wir sind genau so verwundert, dass sie anscheinend weiß wann Cauls Geburtstag ist und wir wollen zum Henker auch wissen woher Martin Stett Cauls Telefonnummer hat! Und im Schatten dieses Unwissens schleicht sich nach und nach die Angst und Paranoia an Caul und damit auch an uns heran. Die Anfangs klare Zeitlichkeit verschwimmt immer mehr bis schließlich am Ende des Films Realität und Wahn weder von Caul noch von uns klar unterscheiden zu sind.
Wie aber genau funktioniert ein Teil dieser subtilen Art und Weise des Versetzens in Cauls Position? Schauen wir uns Kameraarbeit genauer an, stellen wir einen signifikanten Unterschied zwischen den Szenen in Cauls Apartment und allen anderen fest. Bis auf sehr wenige Ausnahmen befindet sich die Kamera dort immer an einem festen und oftmals etwas zurückgezogenen Standpunkt. Niemals ist die Decke der Wohnung zu sehen und manchmal rahmt ein Türrahmen das Bild zusätzlich. Schon allein durch diese Standpunkte und Blickwinkel wird ein klaustrophobischer Moment geschaffen. Dazu kommt aber noch das auffällige Schwenkverhalten der Kamera, was von der gewohnten filmischen Sehart abweicht. Die Kamera beobachtet Harry Caul bei verschiedenen Tätigkeiten in seinem Apartment, schwenkt aber nicht minutiös mit, sondern erst zwei bis drei Sekunden später, wenn dieser schon längst aus dem Bild gelaufen ist. Caul wird also zu Hause überwachungskameragleich beobachtet. Die Instanz des Auges des Zuschauers wird hier von der Kamera abgelöst und durch etwas artifizielles, etwas ferngesteuertes ersetzt. So haben wir einen kleinen Einblick in die Überwachungsarbeit eines Unbekannten und aus eben diesem Moment rührt das merkwürdige paranoische Gefühl.
Zur feinsinnigen Kameraarbeit kommt die Persönlichkeit Harry Cauls sowie so kleine Merkwürdigkeiten wie zum Beispiel die Weinflasche in Cauls Apartment oder das Auftauchen eines Modells des Union Squares auf der Abhörmesse hinzu. Caul trägt die meiste Zeit einen grau-durchsichtigen dünnen Regenmantel wie eine Schutzhaut. Vor wem oder was will er sich damit schützen? Er versteckt sein Telefon in einer Schreibtischschublade. Vor wem? Vor sich selbst? Und genau diese Mischung aus Perspektive, Blickwinkel, Nichtwissen, Überraschung, Verwunderung, Unverständnis und Verwirrung versetzt uns in die Position Cauls und lässt uns mit ihm zusammen am Einriss der Realität, Verschiebung der Wahrnehmung und letztendlich Manifestation von Wahnvorstellung teilhaben.
FAZIT
THE CONVERSATION lässt den Abhörspezialisten Harry Caul Opfer seines eigenen Berufes werden und weiß uns geschickt mit Fragen nach Cauls Vergangenheit und Details über sein Leben abzulenken nur um uns nach und nach hinterrücks unserer Realität unsicher werden zu lassen. Unseren Augen trauend, denn schließlich ist nur das wahr was wir sehen, gehen wir THE CONVERSATION in die Falle, so wie Harry Caul seinen Vermutungen in die Falle geht. Und schließlich sehen wir uns gemeinsam mit ihm dem Wahn gegenüber. Wie schade, dass diese Charakterstudie dann doch ein Ende hat. Oder glücklicherweise?