War am 18.01.2024 im Kino und habe mir "Poor Things" angesehen. Stand jetzt bin ich ziemlich angetan vom Film. Er ist völlig anders als alle anderen Filme, die ich je gesehen habe. Originell, kreativ, witzig, skurril, charmant, bissig, satirisch und gesellschaftskritisch. Es ist aber definitiv kein Film für jeden, er wird garantiert für gespaltene Meinungen sorgen. Es wird Leute geben, die ihn doof oder langweilig finden, ebenso wird es Leute geben, die ihn großartig und faszinierend finden. Zu letzteren würde ich mich definitiv zählen.
Hier mal einige Stichpunkte meiner Gedanken zum Film:
Emma Stone spielt hier absolut herausragend. Eine solche Rolle und Leistung habe ich von ihr noch nie gesehen, und ich habe die meisten ihrer Filme, auch La La Land, gesehen.
Mark Rufallo spielt hier ebenfalls absolut großartig, auch von ihm die beste Leistung, die ich je sah.
Willem Dafoe spielt seine Rolle gewohnt suverän, sticht aber jetzt nicht sonderlich heraus aus seinen anderen immer suveränen Leistungen.
Die Musik ist jetzt nicht das, was ich nebenher im Auto oder Wohnzimmer hören würde, aber eines muss ich ihr lassen: Sie passt richtig gut zum Film und zu den Szenen und zu Bellas Gefühlslagen und Erlebnissen. Sie bleibt hängen, und das sagt viel aus.
Die Settings, Szenenbilder und die visuelle Optik ist genial und abwechslungsreich und spiegelt den Entwicklungsstand von Bella wider. Wenn sie noch sehr kindlich ist, nimmt sie auch alles mit kindlichen Augen wahr. In dieser Zeit ist die Welt farbenfroh, märchenhaft und Lichter haben starke Überstrahleffekte, während Hintergründe, Himmel und Wolken in Pastellfarben dargestellt werden, fast wie im Theater. Wenn ihre Persönlichkeit gereift ist, werden auch die Farben realistischer, ebenso die Umgebungen. Ganz zu Beginn wiederum ist der Film noch schwarz-weiß, ganz im Sinne des Hauses, in dem Bella gefangen ist und nicht nach draußen darf. Erst die erste Szene im Freien gibt dem Bild die Farbe hinzu, so wie Bellas Geist anfängt, sich befreien zu wollen. Einfach nur genial.
Der Film greift unsere Gesellschaft und das Menschsein an sich auf und zeigt auf, dass Menschen als Gesellschaft schlecht und zerstörerisch sind. Auch zeigt der Film die Entwicklung vom Kind über die Jugend und Pubertät zum Erwachsenwerden. Wichtigster und zentralster Drehpunkt ist jedoch die Selbstverwirklichung und die Befreiung von geistigen wie körperlichen Fesseln und das Emanzipieren der Frau in der Gesellschaft. Es geht um die freie Selbstbestimmung der Frau in jeder Hinsicht. Dies geschieht aber keinesfalls plakativ oder platt, sondern geschickt und kreativ.
Die Kameraführung ist wirklich klasse und bietet die unterschiedlichsten Perspektiven und optische Effekte wie Fischaugen oder ähnliches.
Die 142 Minuten waren zu keinem Zeiptunkt langweilig und ich war so gefesselt und fasziniert von der Handlung, dass die Zeit wie im Fluge verging.
Die Dialoge sind großartig geschrieben, mal bissig, mal eloquent, mal derb und ungehobelt, mal humoristisch und sarkastisch, mal skuril. Es wird häufig auch kein Blatt vor den Mund genommen. Es ist von allem etwas dabei. Das bringt Abwechslung in die Handlung.
Die Charaktere sind toll geschrieben und machen alle ihre eigene Art Entwicklung durch, wobei Bella natürlich im Mittelpunkt steht. Bellas Charakter ist vielschichtig und komplex, was ihn so besonders macht.
Es gibt sehr viele explizite Nackt- und Sexszenen, und normalerweise würde mich sowas sehr stören, doch hier hat es mich gar nicht gestört, weil diese immer auf einer künstlerischen Ebene dargestellt wurden, so dass sie nicht pornografisch oder erotisch sondern gegenteilig sehr nüchtern, humoristisch, künstlerisch oder satirisch wirken. Ich bin allerdings überrascht, dass Emma Stone sich so freizügig gibt. Allerdings könnten bestimmte Szenen vielleicht auch von einem Double gespielt worden sein, wobei ich eher nicht den Eindruck hatte, dass dies so sein könnte.
Ich hätte direkt Lust auf eine zweite Sichtung. Auf eine Wertung will ich mich noch nicht endgültig festlegen, aber ich würde wohl aktuell zu 9/10 Punkten tendieren.
Tendenzielle Bewertung: 9/10 Punkte
Wiederschauwert: Hoch
Nachhaltiger Eindruck: Hoch
Emotionale Tiefe: Mittel