Kritik
Als der erste Teil der fortlaufenden Ku’damm-Serie im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, kam es zu einer ebenso häufigen wie latent ignoranten Aussage: Für deutsche Verhältnisse gar nicht schlecht. Ku’damm 56 wurde wohlwollend bis positiv aufgenommen und generierte zufriedenstellende Quoten, sodass das verantwortliche ZDF alsbald an einer Fortsetzung zu der flotten TV-Film-Trilogie arbeitete. Ku’damm 59 ist schließlich das Ergebnis dieser Arbeit und führt die Geschehnisse fort, weitet die Schicksale der Charaktere aus und vertieft die thematischen Aspekte, die die Ursprungs-Trilogie so sehenswert machten.
Ganz zu Beginn kommt die Ausgestoßene der Familie Schöllack zurück nach Hause. Monika (Sonja Gerhardt, Deutschland '83) bittet nachts, schwanger, im Regen um Wiederaufnahme. Und diese wird ihr - im Namen des guten Rufes der Familie - selbstredend verwehrt. Das Gespött der Leute soll einem erspart werden. Sowas kommt einem ja nun nicht ins Haus, nach dem Debakel mit diesem ganzen Nazikram. Das Gespött der Welt zu sein, muss auch einfach reichen. Wieso sollte man sich nun auch noch jenes der Nachbarschaft antun? Das Befremdliche, das „Abartige“ (in diesen Gedankenkonstrukten ist die Gesellschaft noch fest in ihren Euthanasie-Wurzeln verankert), wird ausgesperrt. Und das, obwohl es im eigentlich Vertrauten liegt. In der eigenen Familie, der eigenen Tradition und Identität. Die Autorin der bisherigen sechs Filme, Annette Hess (Weissensee), und der Regisseur Sven Bohse (Ostfriesenkiller) schaffen es im Handumdrehen, die Geschichte voranzutreiben und die thematischen Konflikte der Serie zu bespielen. Zwischen Wirtschaftswunder und neu aufgebauter Liebe: Wo soll da noch Zeit für Vergangenheitsbewältigung sein?
Hierin liegt wohl auch die größte Stärke, das stärkte Argument für diese Serie: Wie die diverse Stimmung dieser zerbrechlichen Gesellschaft in den fünfziger Jahren eingefangen wird, ist große Klasse. Das passiert mal subtil, wie oben beschrieben, und mal etwas brachialer. So zum Beispiel in Person des flamboyanten Regisseurs Kurt Moser (Ulrich Noethen, Oh Boy), der zu Nazi-Zeiten die größten Filme des Jahres gedreht hat und nun auf Alpen-Musicals degradiert wurde. Er inszeniert sich selbst als Künstler, der doch bloß wertvolle Beiträge zur Volksgemeinschaft geleistet hat und nun lächerliche Moderationsjobs im Fernsehen annehmen muss. Ein Mann, so selbstgerecht wie respektlos, so vernunftfrei wie reflektionsresistent. Er hat seinen Kopf gerade noch so aus der Schlinge ziehen können und beginnt nun allen ernstes, Forderungen zu stellen. Er ist eine herausstechende Figur. Nicht nur, weil Noethen wahrlich alle Register des schmierigen Charmes zieht, sondern auch, weil er in jeder Szene auf den Punkt geschrieben und inszeniert wurde.
Und Moser ist symptomatisch für jede Figur dieser Serie. Alle versuchen krampfhaft, eine Scheinidentität aufrecht zu erhalten und ihre Vergangenheit zu vergessen. Mit überdeckten KZ-Tattoos, unterdrückten sexuellen Neigungen (Ich steh auf Frauen, ich schwöre!) und abgeklemmten Gefühlen. Jeder versucht sich quadratisch in einen Kreis zu quetschen, alle versuchen, ihre lückenreiche Persönlichkeit zu verdecken. Jeder ist mit der falschen Identität, die er sich selbst aufbürgt, einigermaßen d’accord. Sobald aber andere auch nur den kleinsten Eingriff in das Leben anderer vornimmt, sprudelt die unterdrückte Aggression nur so über. Es sind hierbei ausgesucht gelungene (wenn auch nicht immer glaubwürdige, aber was heißt das schon) Szenen, die den Druck, die Widersprüchlichkeit und Absurdität der Existenz einer ganzen Bevölkerung bebildern. Die von den Nazis über Jahre hinweg indoktrinierten Gedanken sind nicht einfach ausgelöscht. Auch weil diese Gedanken in ihrer Basis schon vorher in den Köpfen der Menschen eine legitime Rolle gespielt haben. Fremdenargwohn war kein Geistesblitz. Existenzielle Furcht vereint alle Menschen aller Zeiten. Ku’damm 59 entlarvt sie.