Yves Saint Laurent war ein Modedesigner, der begeisterte. Seine Ideen waren stilbildend, er galt bald als Revolutionär der Mode-Branche, speziell der Damenmode, in der er weltweit zum Helden wurde. Besonders 2014, sechs Jahre nach seinem Tod, scheint das Interesse wieder hochzukochen. Nicht einer, sondern gleich zwei Filme wurden über sein Leben gedreht. Beide in Frankreich, beide als biographisches Drama, dieser hier mit dem Titel „Saint Laurent“, der andere mit dem Titel „Yves Saint Laurent“ - er erschien ein paar Monate früher. Verstehe das, wer will, an der möglichen Qualität des einen oder anderen Filmes ändert das ja nichts. Und das ist schade, denn dann hätte Regisseur Bertrand Bonello („Haus der Sünde“) wenigstens eine (zugegeben schwache) Entschuldigung für die 150 Minuten Leerlauf, die er hier fabriziert hat.
Der Film selbst steigt kurz im Jahr 1974 ein, kurz vor dem Anfang vom Ende, oder möglicherweise schon mittendrin. Eine äußerst dünne und sehr dünn wispernde Person checkt in einem Hotel ein. Er sei in Paris, um zu schlafen - und ruft dann auf seinem Zimmer jemanden an, dem er erzählt, er sei bereit für das Interview. Er möchte sich seiner Depressionen entledigen, seine Seele entlasten. Das ist ein Motiv, das nicht zum ersten Mal genutzt wird („Der Maschinist“ ist der erste unpassende Vergleich, der einfallen mag), hier jedoch taugt diese Situation als Aufhänger der Geschichte. Nun wird Bonello nämlich in der Zeit zurückspringen und dann chronologisch immer mehr Zeitebenen einführen und am Ende wild durchmischen. Das funktioniert auf den allerletzten Metern, wenn Stunde zwei schon längst angebrochen ist, davor sorgt es mehr als einmal für ein holpriges Seh-Erlebnis.
1967 werden die Models vorbereitet. Alles wird genauestens im Buch vermerkt. Alles wird mit Lineal und Bandmaß gemessen. Die unheimlichen Bilder aus den Geschichtsbüchern tauchen einem da vor dem geistigen Auge auf, die die Euthanasie der Nazis dokumentieren. Die Abstände zwischen Kinn und Nase werden gemessen, die Breite der Schultern, die Länge der Arme. Das Ziel mag ein anderes sein, die Methodik ist gleich. Bevor man sich hier nun verhaspelt: Direkte Vergleiche zieht der Film hier nie und ist den Filmemachern auch nicht zwingendermaßen in den Sinn gekommen. Es wäre also fehl am Platze, hier einen Skandal zu suchen, wo schlicht und ergreifend keiner ist. Das wäre wohl auch zu viel verlangt, von einem biographischen Film, dem es gelingt, zweieinhalb Stunden Desinteresse an seiner Figur zu zeigen.
Exemplarisch bzw. episodisch versucht Bonello von Beginn an, das Leben des legendären Modeschöpfers zu erzählen. Ein Zentrum findet er dabei nie. Einen Kerngedanken auch nicht. Ein Argument dafür, weshalb man Yves (man muss es einfach nochmals sagen) zweieinhalb Stunden dabei zuschauen sollte, wie er dahin vegetiert, lässt ich auch nicht ohne Weiteres auffinden. Relativ früh wird deutlich, dass der Regisseur - ein nicht unumstrittener Filmemacher - zu keinerlei kritischer Distanz gegenüber Saint Laurent (Gaspard Ulliel) imstande ist. Vielleicht muss er das auch gar nicht, denn an den Karrierehöhen Laurents scheint er auch nicht interessiert zu sein. Die Einführung des Hosenanzugs für Frauen, ein Meilenstein in der Geschichte der weiblichen Emanzipation, wird schon nach fünfzehn Minuten abgehandelt. Kurz darauf beginnen fünf Minuten äußerst interessant intendierter Symbolik, in denen YSLs Modekollektionen im Split-Screen neben der Nachkriegs-Geschichte Frankreichs gezeigt werden. DeGaulles Tod vs. YSLs Herbstmode.
Die Vorbilder für „Saint Laurent“ und von Regisseur Bertrand Bonello sind quasi zu jeder Zeit überaus deutlich auszumachen. Die biographischen Erzählungen über Henry Hill („Goodfellas“) oder Jordan Belfort („The Wolf of Wall Street“) haben auch beim Franzosen einen Eindruck hinterlassen. Am deutlichsten findet jedoch Paul Thomas Andersons Seventies-Porno-Streifen „Boogie Nights“ seinen Weg in dieses Werk. Zumindest hätte er das finden sollen, denn all die kopierten und nachempfundenen Szenen (allem voran die legendären Club-Szenen aus PTAs Film) mögen hier nicht so recht zünden. Musik ist da, alles leuchtet bunt, die Klamotten sind auch irgendwie alt, der Charme jedoch entsteht nicht. So wird es irgendwann leider bezeichnend, dass das Zeigen von Laurents Leben zum gelangweilten Abhaken und Langziehen wird. Vor allem die wichtigen Momente werden hier so zäh, unpassend und langweilig-plakativ abgehandelt, dass wirklich jede Sekunde hier zum Selbstzweck verkommt.
Was dem Film zu keiner Sekunde gelingt (und in zweieinhalb Stunden gibt es immerhin 9000 Sekunden), ist das Schaffen eines eigenen Rhythmus’, der die so unbedingt nötige Sogwirkung entfachen würde. Stattdessen gibt es hier Szene nach Szene, die sich teils an Langatmigkeit zu übertrumpfen scheinen und eine Menge Leerlauf entstehen lassen. Bonello scheint so begeistert von seinen Vorbildern, dass er total vergisst, wo seine Wurzeln liegen. Ja, die Kostüme sind toll, die Kulissen sind umwerfend und teils - vor allem zum Ende hin - sind die Bilder von betörender Schönheit. Aber Schönheit allein erzählt keine Geschichte. Gut aussehen muss nur, wer sonst nichts kann. Das ist generell bei einem Film schon ärgerlich. Wenn dies aber einem Film passiert, der sich mit einem Mode-Designer auseinandersetzt, der Schönheit mit Aussage wie kein zweiter gepaart hat, dann hat das schon eine schmerzhaft ironische Komponente.