Inhalt
In dieser intimen Darstellung von Freundschaft, Übergang und Amerika beschließen Will Ferrell und sein bester Kumpel seit dreißig Jahren, einen Roadtrip quer durchs Land zu machen, um dieses neue Kapitel zu erkunden
Kritik
Der neueste Streich von Kult-Komiker Will Ferrell (Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy) ist mal etwas komplett Anderes, als man es von dem vielleicht besten – zumindest unterschätztesten – Comedy-Darsteller der letzten 20 Jahre erwarten könnte. Das er auch ernste Rollen beherrscht, konnte er an der ein oder anderen Stelle schon unter Beweis stellen, aber etwas derart Persönliches und vollkommen Reales hatte wohl niemand auf dem Zettel. Eine Road-Movie-Dokumentation, die ihn und einen seiner engsten Freunde bei einem 17tägigen Trip quer durch die USA begleitet. Die Besonderheit dabei: die Reise soll Harper Steele – einst Andrew Steele – dabei helfen, sich nach fast 60 Jahren alt Mann nun als Transfrau in einer Welt zurechtzufinden, die auf Menschen wie sie nach wie vor nicht uneingeschränkt positiv reagiert. Insbesondere geht es aber auch darum, wie Harper lernen muss, sich und ihr wahres Ich nun auch in der Öffentlichkeit vollends auszuleben und zu akzeptieren – und natürlich auch, wie und ob diese einschneidende Veränderung eine 30 Jahre andauernde Freundschaft in irgendeiner Weise doch beeinflussen oder gar verändern kann.
Andrew Steele und Will Ferrell lernten sich in den frühen 90ern bei Saturday Night Live kennen. Steele war damals Autor der Show und seit dieser Zeit verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft, so dass er auch bei späteren Ferrell-Filmen wie Casa de mi Padre oder Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga am Skript mitarbeitet. Durch die Covid-Pandemie bekam man sich längere Zeit nicht zu Gesicht und so überraschter war Ferrell, als sich sein Freund per Mail ihm gegenüber outete, dass er nun als Transfrau leben will und den Namen Harper angenommen habe. Natürlich keine leichte Entscheidung für einen Menschen, der knapp 60 Jahre als Mann verbracht hat und jetzt den Mut gefasst hat, sich auch offiziell zu ihrem wahren Ich zu bekennen. Gemeinsam unternehmen sie einen Roadtrip unter Freunden und werden dabei von einem Kamerateam begleitet. Eine Reise, die zwar nicht ganz frei von einigen inszenatorischen Momenten ist, überwiegend aber einen sehr intimen Einblick in die Gefühlswelt der beiden gewährt und trotz einiger erheiternder Momentaufnahmen (es wäre bei einem Will Ferrell schlicht unmöglich, dass dies nicht der Fall ist) dem Publikum teilweise unglaublich nahe geht.
Harper Steele gibt hier schonungslos ihr tragisches Innenleben preis. Berichtet von ihrem Kampf, Zeit ihres Lebens im falschen Körper gefangen zu sein und eine Fassade aufrecht zu erhalten. Von dem Gefühl, „nicht normal“ zu sein, dem Leugnen ihrer wahren Identität, von schweren Depressionen und Suizidgedanken und dass auch jetzt, nach dem eigentlichen befreienden Outing, noch von tiefen Ängsten und Selbstzweifeln geplagt zu sein. Wird sie in der Öffentlichkeit akzeptiert und vor allem, kann sie sich selbst dort in ihrer neuen Rolle akzeptieren? Ganz selbstverständlich als Transfrau die Dinge tun, die sie bisher als Mann gerne getan hat und Orte aufsuchen, an denen sie offenkundig mit skeptischen Blicken bis hin zu direkten Anfeindungen konfrontiert sein wird? Ja, einen hundertprozentig authentischen Blick kann diese Doku nicht ganz gewährleisten, denn wenn man mit einem Kamerateam aufschlägt und einen der bekanntesten Schauspieler des Landes im Schlepptau hat, verzerrt das unweigerlich einiges. Zudem sind ein paar Situationen zu Unterhaltungszwecken offensichtlich leicht gescripted und wenn manipulative Hintergrundmusik die Wirkung mancher Einstellung forcieren soll, erfüllt man nicht vollumfänglich einen dokumentarischen Anspruch.
Doch im Wesentlichen sind es nicht die Szenen, in denen Will & Harper in der Öffentlichkeit auftreten, die die wahre Qualität dieses Films ausmachen. Es sind die vielen Momente der Zweisamkeit zwischen den beiden Freunden, in denen so viele wirklich glaubhafte Dialoge geführt werden und ganz wunderbare und zutiefst rührende Situationen abbilden, die einem menschlich ungemein nahe gehen. Man nimmt Will Ferrell vor allem ab, dass es ihm bei dem Projekt wirklich nicht um eine rein kommerzielle Ausschlachtung ging, sondern der persönliche Aspekt in keiner Weise inszeniert oder kalkuliert ist. Es ist eine Ode an die Freundschaft und ein empathischer Appell an Toleranz und Akzeptanz, der ohne erhobenen Zeigefinger daherkommt und dem Thema Transsexualität eine so persönliche Bühne gibt, die unwahrscheinlich viel Mut erfordert.
Fazit
Aus rein dokumentarischer Sicht vielleicht nicht astrein in jeder Hinsicht, auf menschlicher Ebene aber einfach unglaublich sympathisch und emotional berührend. Ein so persönlicher, intimer Einblick ist alles andere als selbstverständlich und ringt einem absolute Hochachtung ab. Vor Will Ferrell, aber noch mehr vor Harper Steele.
Autor: Jacko Kunze