Wildlife markiert eines dieser vielversprechenden Regiedebüts von Schauspielern, deren Karrieren schon seit Jahren faszinierend zwischen mainstreamtauglicher Zugänglichkeit und eigenwilligen Arthouse-Ambitionen pendeln. In diesem Fall handelt es sich um Paul Dano (Looper), der liebenswürdige Indie-Verschrobenheit in Filmen wie Little Miss Sunshine und Ruby Sparks - Meine fabelhafte Freundin ebenso überzeugend verkörpert wie schwierigere Grenzgänger in Form von Swiss Army Man oder Love & Mercy und gewaltige, hochkomplexe Brocken wie There Will Be Blood. Die Frage, welche Teile seiner Persönlichkeit, die sich in seiner Laufbahn als Schauspieler gar in ganz unterschiedliche Persönlichkeiten aufspalten sollte, Dano in seinen ersten Film als Regisseur einbringen würde, beantwortet er mit Wildlife. Es ist ein Streifen, der aus spürbar intimen Ambitionen entstanden ist und doch von einer bedauerlicherweise glatten Oberflächlichkeit geprägt ist, die nur von einigen wenigen subtilen Zwischentönen ausgeglichen wird.
Wildlife basiert auf dem gleichnamigen Roman von Richard Ford, von dem Dano schon so lange fasziniert war, dass er ihn als idealen Stoff für sein Debüt als Regisseur auserkoren hat. Genau genommen begann der Weg von Wildlife vom Buch zum Film mit dem allerletzten Moment der Geschichte, der sich Dano als unglaublich visuelles Bild einbrannte und ihn überhaupt erst dazu bewegte, die Vorlage fürs Kino zu adaptieren. Nichtsdestotrotz ist es ein weiter Weg, den der Regisseur vom Anfang bis zu jenem Ende geht, das die großen Emotionen des Films tatsächlich in einer ebenso unscheinbaren wie auf den Punkt inszenierten Schlussequenz noch einmal zum Ausdruck bringt. Zu Beginn von Wildlife setzt Dano im Jahr 1960 im Leben der dreiköpfigen Familie Brinson an, die frisch nach Montana gezogen ist, wo sie sich einen frischen Wechsel erhoffen.
Über die Vergangenheit und vor allem die vorangegangene Familiendynamik der Brinsons erfährt der Zuschauer bewusst nichts. Dano schildert als Regisseur deren gegenwärtige Situation anhand von aneinandergereihten Beobachtungen und Einzelszenen, aus denen sich langsam Rückschlüsse auf die jeweilige Figur ziehen lassen. Während Vater Jerry anfangs noch auf einem Golfplatz arbeitet, wo er einesTages seinen Job verliert, da er gegenüber den Kunden zu persönlich und freundlich ist, stellt sich Jeanette als typische Hausfrau und Mutter heraus, die hinter ihrem ruhigen, sympathischen Auftreten geschickt verbirgt, dass sie persönliche Ambitionen deutlich hinter das Wohl ihrer Familie stellt. Erste Spannungen zeichnen sichin Wildlife anhand kleinerer Hinweise in den Gesichtern der Schauspieler sowie in schmalen Gesten ab, die Dano unaufgeregt in stilvollen Bildern inszeniert, während der Haussegen aufgrund des gefeuerten Familienvaters, der zunehmend häufiger zur Flasche greift, sichtlich schief hängt.
Eher passiv als aktiv gestaltet der Regisseur, der Filmemacher wie Robert Bresson (Zum Beispiel Balthasar) und Yasujirō Ozu (Die Reise nach Tokyo) zu seinen größten Inspirationen zählt, dabei das jüngste Mitglied der Brinson-Familie in Gestalt des 14-jährigen Joe. In Bezug auf all das, was um den Heranwachsenden herum geschieht, zeigt Dano den Protagonisten als oftmals stummen Beobachter, der ebenso ein jüngeres Abbild des Regisseurs selbst sowie Projektionsfläche für die Gedanken und Gefühle des Betrachters darstellen soll. Zunehmend verschließt sich Wildlife jedoch genau vor diesem Zugang des Publikums, wenn die Geschichte des Films einen bedeutenden Bruch erhält. Nachdem sich Jerry dazu entschließt, in den nahe gelegenen Wäldern der Berge für einen Mindestlohn beim Kampf gegen die Waldbrände mitzuhelfen, verschwindet der von Jake Gyllenhaal (Prisoners) mit durchwegs stoischer Gelähmtheit gespielte Familienvater für große Teile des Films aus der Handlung. Es ist eine Art Flucht, die womöglich schon von langer Hand geplant war.
Zurück in Ungewissheit bleiben Mutter und Sohn, die mit dem womöglich endgültigen Abschied auf unterschiedliche Weise umgehen. Während Jeanette, die von Carey Mulligan (Drive) noch mit dem sichtbarsten Facettenreichtum verkörpert wird, ihrem Lebenstraum ein Stück weit näher kommt und die eigene Unabhängigkeit mit einer Affäre förmlich zu zelebrieren beginnt, bleibt Ed Oxenboulds (The Visit) Teenager weiterhin kaum mehr als ein zur Passivität verdammtes Gefäß, das Dano niemals stimmig in seine Ansätze eines subtilen Coming-of-Age-Porträts einzufügen vermag. Gegen Ende, wenn sich das erwartbare Familiendrama in leisen und lauten Tönen anbahnt, stellt sich Wildlife schließlich als eines jener sauber polierten, ansehnlich gespielten Debüts heraus, das auf Festivals Begeisterung auslöst, während sich die eigentliche Handlung an oberflächlichen Allgemeinplätzen entlang hangelt, die kaum mehr als ein vorhersehbares, emotional wenig mitreißendes Familiendrama darstellt.