Inhalt
Die junge spanische Novizin Viridiana besucht ihren Onkel Don Jaime auf seinem Landgut. Ihre verblüffende Ähnlichkeit mit Don Jaimes verstorbener Frau fasziniert ihn zutiefst. In seiner Obsession wirbt er um ihre Hand. Als sie ihn abweist, erhängt er sich. Von Schuldgefühlen geplagt, lädt Viridiana Bettler, Landstreicher und Kranke auf das Gut ein. Jedoch wird Viridianas Mitleid von den Armen skrupellos ausgebeutet: Im Herrenhaus feiern sie eine verheerende Orgie, die im Chaos endet.
Kritik
Blasphemie wollten sie in Luis Buñuels Viridiana erkennen, die puristischen Sittenwächter und die sturen Verfechter von christlichen Idealen. Es ist nun kein Geheimnis, dass Buñuel, der sich mit charakteristischem Augenzwinkern zum katholischen Atheisten erklärt hat, einer größten Kritiker am Christentum war. Denn obgleich sein Hang zum Surrealen einen festen Referenzpunkt in seinem Œuvre darstellt, war Buñuel immer ein kritischer Beobachter, – natürlich mit Vorliebe auf die Gepflogenheiten der Bourgeoisie gerichtet – der dank präziser Finesse die Missstände innerhalb der Gesellschaft dechiffrierte und sie in einem unnachahmlichen Stilbewusstsein bettete: Ein intelligenter, treffsicherer Virtuose; ein künstlerischer Silbernacken mit Substanz und immer ernstzunehmenden Anliegen.
Warum Viridiana nun der Gotteslästerung bezichtigt wurde, liegt auf der Hand, offenbart Buñuel doch in kompromissloser Unmittelbarkeit, dass sich die an christliche Grundsätze gebundenen Prinzipien nicht mit dem Lauf der Dinge, dem in Abtrünnigkeit und Perversionen treibendem Zustand unserer Realität, verknüpfen können. Eine, ohne Frage, gut gemeinte Absicht, weist hier nicht die erhoffte Analogie aus sakralen Vorschriften und reellen Tatsachen vor, sondern scheitert gnadenlos an der weltfremd anmutenden Selbstlosigkeit Viridianas. Buñuel agiert nicht ohne Polemik; sein Film polarisiert und führt gewiss zu kontroversen Debatten, echauffiert den Vatikan und zieht sämtliche Verbote nach sich. Allerdings ist Buñuels Provokation nicht das Resultat einer von Zorn belebten Desillusion aus vergangenen Tagen, die nun als auf Zelluloid gebanntes Ablassventil funktionieren soll. Virdiana ist und bleibt hintersinnig und konkret, einfach weil der Film von der ersten Silbe an die Wahrheit spricht.
Virdianas durch einen familiären Todesfall entflammte Nächstenliebe lenkt sie nicht in den Schoß ihrer geistigen Attribute. Viridiana wird kein Respekt gezollt, weil sie die Obdachlosen, Streunern und Bettlern Obhut im Anwesen ihres verstorbenen Onkels gewährleistet, sie wird belächelt für ihre Naivität und letztlich sogar aufgrund ihres geblendeten Idealismus beinahe vergewaltigt. Die soziale/gesellschaftliche Unmoral nimmt keine Rücksicht auf ihre durch die strenggläubige Verwurzelung entfalteten Handlungen. Es kommt genau zu dem Desaster, wie es vorbestimmt war; wie es für den Zuschauer absehbar war, wie es unumgänglicher Teil der triebhaften Bosheit der Natur des Menschen ist. Nur Novizin Virdiana sieht in ihrer Blauäugigkeit das Unheil nicht kommen – Mitleid fällt da (fast) schwer.
Mit der versiert eingebauten und mannigfach interpretierbaren Symbolik wie dem sexuellen Subtext, heftet Buñuel immer wieder signifikante Eckpfeiler an das fokussierte Geschehen. Mal als Randnotiz, mal als nackter Denkanstoß, aber nie als plakativer Flickenteppich, der das auszubessern versucht, was die informale Ebene nicht hergeben wollte. Viridiana ist so aktuell wie punktgenau; und es schreit natürlich nach Realsatire, dass der Film im christlichen System dank unbeschränkter Blindheit und traditionellem (Irr-)Glauben verdammt wird, während er bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme verdient gen Himmel recken durfte. Ein Bildnis, welches sich geradewegs aus den filmischen Umständen gefiltert haben könnte und mehr als nur einen bemerkenswerten Fingerzeig bedeutet.
Fazit
Luis Buñuel nimmt sich dem Christentum und dem damit verbundenen Wertesystem am Beispiel einer jungen Nonne, die durch ihren Glauben mit den unmoralischen Ausläufen der Gesellschaft konfrontiert wird. "Viridiana", der unbedingt zu den besten Werken des virtuosen Surrealisten gezählt werden sollte, ist stilsicheres und gleichermaßen hintersinniges Kino, so kritisch wie präzise.
Autor: Pascal Reis