Inhalt
Es heißt, man solle stets mit einem komatösen Patienten sprechen, immerhin zeigt jener einen gewissen Grad an Rest-Gehirnaktivität. Doch was regt sich da tatsächlich im Nervennetz eines bewusstlosen Menschen? Sind es Träume? Oder Erinnerungen? Und ist es tatsächlich möglich, Einfluss zu nehmen? Ein Team von Neurologen möchte genau dies herausfinden und verknüpft mittels modernster Technik die Hirn-Synapsen einer Komapatientin mit denen des Teammitglieds Lukas. Als Versuchskaninchen ahnt er zunächst nicht, was ihn auf der anderen Seite erwartet. Doch als der Wissenschaftler auf die schöne Aurora trifft, verfällt er augenblicklich ihren Reizen. Ob seine Eindrücke eigene Illusion oder eine tatsächliche Transgression bedeuten, bleibt für Lucas zunächst unklar, aber aus einem Impuls heraus verschweigt er die Kontaktaufnahme mit Aurora den Kollegen.
Kritik
Der zumeist als weißer Fleck auf der cineastischen Landkarte gehandelte Staat Litauen verdient sich durch Kristina Buozyte's „Vanishing Waves“ derzeit ein großes Ausrufezeichen. Eine Prise Sci-Fi wird hier mit einem moralischem Dilemma und jeder Menge Fickerei kombiniert. Protagonist Lukas kann man zwar nicht wirklich gut leiden, seinen Touren in die Gedankenwelt eines im Koma liegenden Unfallopfers folgt man aber dennoch gern.
Das Opfer heißt – wie sich im Laufe herausstellt – Aurora und zieht Lukas sofort in seinen Bann. Der Wissenschaftler liegt in einer Kapsel voller Wasser, verbindet sich mit Aurora und lässt dabei seine Gehirnaktivitäten überwachen. Sein Auftrag ist simpel: Dring in das Bewusstsein der bewusstlosen Frau ein und berichte über alles was du da so siehst. Doch Lukas entscheidet anders, behält den Inhalt seiner Ausflüge für sich. Zu verlockend ist die Zweisamkeit mit der mysteriösen Schönheit, zu intensiv der Sex, zu beruhigend die Freiheit in den von ihr erschaffenen Traumwelten. Obwohl? Hat wirklich Aurora diese obsessiven Träume erschaffen oder war es der Wissenschaftler selbst?
Während Lukas (Marius Jampolskis) sich in Gedanken von allen Kleidungsstücken und Verpflichtungen trennt, warten in der Realität ungeduldigeWissenschaftler auf Ergebnisse des Experiments. Mehr noch: Daheim wartet Lukas Ehefrau auf eine Erklärung für sein neuerlich apathisches und triebhaftes Verhalten. Der Held wird langsam zum hormongesteuerten Geheimniskrämer, der die Gedankenwelt seiner Patientin als sein Eigentum deklariert und den ursprünglichen Sinn des Experiments völlig verdrängt. Ihm beim Abstieg in seine eigene Seele zu folgen ist dabei ebenso spannend wie die Auflösung um Aurora's Unfall. Zwar verrennt sich „Vanishing Waves“ vor dieser Auflösung oftmals in wiederholt wirkenden Szenen, begeistert dafür aber stets mit opulenten Sets und beklemmender Darstellung von Sucht und Verlangen. So wird eine Orgie zum wahren Gruselkabinett und ein gemeinsames Dinner am Strand zur Selbstverstümmelung.
Schade, dass Aurora bei all dem Treiben kaum zu Wort kommt und dem nicht optimal gecasteten Lukas nahezu jede Szene überlassen muss. Mit einem besser ausgewogenen Ensemble und ein wenig mehr Dialog hätte Regisseurin Buozyte vielleicht auch noch die schmerzlich vermissten Anknüpfungspunkte für das Publikum integrieren können. So ist „Vanishing Waves“ zwar größtenteils fesselnd, aber seine Charaktere selten emotional greifbar.
Fazit
Visuell ansprechend, freizügig und geheimnisvoll. „Vanishing Waves“ teilt damit die Kerneigenschaften seiner im Koma liegenden Aurora. Leider mangelt es dem litauischen Mindfuck an Tempo und Identifikationsfiguren.
Autor: d kr