Weltberühmt wurde der britische Schriftsteller Ian Fleming (1908 – 1964) in erster Linie durch seine Romane über den wohl populärsten Doppelnull-Agenten der Welt namens Bond - James Bond. Den großen Erfolg der daraus resultierenden Filmreihe konnte er nur ansatzweise miterleben, verstarb er doch im Jahr dessen erst dritten Leinwandauftritts James Bond 007 – Goldfinger. Durch diesen wurde der in der Rolle des namengebenden Antagonisten auftretende, gebürtiger Zwickauer Gert Fröbe (Es geschah am hellichten Tag) ein auch international bekannter Star und bei Tschitti Tschitti Bäng Bäng kreuzten sich ihre Wege erneut. Beruhend auf dem Kinderbuch Chitty Chitty Bang Bang, dass erst nach dem Tod von Fleming veröffentlicht wurde und er einst für seinen Sohn geschrieben hatte.
Produzent Albert R. Broccoli, der Mann hinter allen James Bond-Filmen bis zur Pierce Brosnan-Ära, schnappte sich auch die Rechte an diesem eher ungewöhnlichen Fleming-Buch, vermutlich aus zwei Gründen. Zum einen eben wegen dem Erfolg der Bond-Filme und der Assoziation zu deren geistigen Urvater, zum anderen wegen des wahnsinnigen Erfolges eines vier Jahre vorher erschienenen Films: Den mit fünf Oscars prämierten Musical-Hit Mary Poppins. Inhaltlich entfernte man sich deutlich von der literarischen Vorlage und engagierte einige Drehbuchautoren (u.a. Roald Dahl, Charlie und die Schokoladenfabrik) um die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters (zuvor auch bei Mary Poppins: Dick Van Dyke), seiner zwei Kinder und deren magischen Auto in ein ebenso extrovertiertes, ausschweifend-fantasievolles Musical für die ganze Familie zu verwandeln. Nicht umsonst heuerte man neben Dick Van Dyke mit den Gebrüdern Robert & Richard Sherman auch die Komponisten an, die nicht nur hinten den Hits aus Mary Poppins steckten, sondern davor und danach einige der legendärsten Disney-Songs kreierten, u.a. aus Das Dschungelbuch oder Aristocats. Das Ergebnis wurde seinerzeit mit gemischten Reaktionen aufgenommen und wurde nicht der angepeilt erfolgreiche Trittbrettfahrer, mauserte sich mit den Jahren aber zum von vielen geliebten Kultfilm, der 2002 auch seine eigentlich längst überfällige Bühnenadaption spendiert bekam.
Dabei wird alles aufgefahren, was auch schon beim großen Vorbild aus dem Hause Disney funktionierte. Eine märchenhafte Geschichte, farbenfrohe Sets voll Punk und Protz, jede Menge flotte Melodien und teils grandios arrangierte Choreographien, niedliche Kinderdarsteller mit Identifikationspotenzial für das jüngere Publikum und erwachsene Stars, die sich mit vollem Körper- und Stimmeinsatz Hals über Kopf in das fantasievolle Getümmel stürzen. Das riecht nach einem Selbstläufer, aber ehrlich gesagt ist schon zu erkennen, warum der Film im Vergleich mit seiner unübersehbaren Inspiration dieser nicht das Wasser reichen konnte und immer noch nicht kann. Die üppige Laufzeit von 145 Minuten ist dabei schon ein erster Stolperstein, da die Geschichte dafür gar nicht genügend Inhalt bereithält. Die Hälfte dieser wirkt wie eine viel zu ausgedehnte Exposition, die mit einigen Musical-Nummern gestreckt wird, bis wir zum eigentlich relevanten Teil der Handlung vorstoßen. Der des bösen Baron Bomburst (Gert Fröbe), der das fliegende Vehikel des tüchtigen, aber bisher erfolglosen Tüftlers Caractacus Potts (Dick Van Dyke) begehrt und deshalb dessen Vater in sein Reich namens Vulgaria entführt.
In diesem Teil wird Tschitti Tschitti Bäng Bäng endlich wirklich zu einem eskapistischen Abenteuer, das in einigen Momenten zumindest angedeutet den Geist von Roald Dahl erkennen lässt. Vulgaria, eindeutig an ein europäisches König- oder Kaiserreich Anfang des Jahrhunderts angelehnt (gedreht wurde u.a. in Schloss Neuschwanstein und Rotenburg ob der Tauber), könnte auch aus einem grimmschen Märchen stammen. Ein totalitärer Staat, in dem Kinder gejagt und gefangen genommen werden, was durchaus düsteres Potential erkennen lässt. Richtig aus seiner vorsichtigen Komfortzone (wie beispielsweise ein Hexen hexen) wagt man sich dabei freilich nicht und es bleibt nur bei diesen rudimentären Ansichten. Zudem ist das Ganze nur eine Erzählung in der Erzählung, was von vornherein auch so präsentiert wird und somit jedwede aufkeimende „Spannung“ eigentlich postwendend ausschließt. Ergötzen soll und muss man sich in erster Linie an den Musical-Einlagen und damit kann der Film teilweise richtig punkten, wenn auch nicht durchgehend auf einem konstanten Niveau.
Da gibt es unbestritten absolute Highlights, sowohl bei den Songs (besonders „Toot Sweets“) als auch bei den Choreographien, bei denen besonders Dick Van Dyke durch ein bemerkenswertes Talent und eine großartige Körperbeherrschung heraussticht. Aber auch Gert Fröbe schmettert seine Parts aus voller Kehle und strotz nur so von sichtbarer Spielfreude. Die Höhepunkte sind über jeden Zweifel erhaben und sollten nicht nur das Herz jeden Musicals-Liebhabers höherschlagen lassen, auch dem Genre eher skeptisch eingestellte Personen dürften da kaum weniger als höchste Anerkennung für aufbringen. Allerdings besitzen nicht alle Nummern diese Ohrwurmqualitäten und fallen am Ende deutlich herunter. Und wer sich nicht bedingungslos in dieser quietschbunten und auf Teufel komm raus heiteren Familien-Musical-Welt der 60er Jahre beheimatet fühlt, dürfte mehr als einmal aufgrund eine brachialen Zuckerwatten-Überdosis kurz vorm akut diabetischen Koma stehen. Zudem ist der Film auch in gewissen Punkten von Welt- und Gesellschaftsanschauungen (das Frauenbild ist mal wieder zum Weglaufen) alles andere als gut gealtert, aber das kennen wir aus dieser Zeit ja zur Genüge.