„I wish you were dead! And if your father was alive, he´d raise a glass to that too!“
Ab Mitte der 80er ging es deutlich bergab mit dem bis dahin fabelhaften Schaffens von Sidney Lumet (Hundstage). Richtige Hits, sei es aus Kritiker- oder Publikumssicht, blieben aus und genau genommen waren seine ganz großen Zeiten leider endgültig vorbei. Bis auf das grande finale (Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You´re Dead) konnte keine seiner Arbeiten mehr an die persönliche Bestzeit heranreichen. Aber einer, der war nah dran. Und das ist der in Deutschland mit dem nichtssagenden Titel gestrafte Tödliche Fragen (im Original Q & A, was nur marginal aufregender klingt), der Abschluss seiner praktisch inoffiziellen New York-Crime-Trilogie nach Serpico und Prince of the City.
Einst war Al Reilly (Timothy Hutton, Spuk in Hill House) selbst Streifenpolizist wie sein Vater, hat sich aber schnell hochgearbeitet. Nun ist er in seinen noch jungen Jahren der stellvertretende Staatsanwalt von New York und wird mitten in der Nacht von seinem Vorgesetzten Quinn (Patrick O’Neal, Der Brief an den Kreml) aus dem Bett geklingelt. Dienst nach Vorschrift. Einer „der Besten“, der legendäre wie berüchtigte Lieutenant Brennegan (Nick Nolte, Kap der Angst), hat in Notwehr einen Pusher aus dem Latino-Milieu erschossen. Reilly soll in kameradschaftlicher, ungezwungener Atmosphäre die Aussagen aufnehmen und den Stempel draufsetzen; Fall abgeschlossen. Das Brennegan offenbar der Typ redseliger Saufkumpane mit grobem Vokabular und politisch weniger korrekten Ansichten zu sein scheint spielt zunächst keine Rolle, schließlich verfügt er über eine astreine Reputation, trotz seiner groben Methoden. Ein Aufräumer, ein Frontschwein. Loyal und verlässlich, besonders wenn es hart auf hart kommt. Da wird nicht jeder Ausrutscher auf die Goldwaage gelegt. Auch Reilly ist nicht unbedingt der klassische Korinthenkacker, kennt er doch die Gepflogenheiten im Streifendienst und weiß diese nicht immer vorbildliche Realität in praktikable Relation zu setzen. Alles halb so wild, man ist ja unter uns. Bis eindeutig wird, dass er instrumentalisiert werden soll, um ein weitreichendes, schwer kriminelles Netz aus Korruption, Vetternwirtschaft und gezielten Morden zu vertuschen.
Symbolisch wird Tödliche Fragen über weite Strecken unterlegt vom zermürbenden Presslufthämmern und anderen Baustellengeräuschen. Wie sein Asphalt wird auch die gesamte Struktur von New York aufgerissen und bringt den ganzen Unrat zum Vorschein, der lange durch das typische Eine-Hand-wäscht-die-andere – oder eher das der Krähe, die der anderen kein Auge aushackt – Prinzip einzementiert wurde. Begraben unter einer Schicht des Schweigens, der verlogenen Zugeständnisse, des Handaufhaltens und dem Bewusstseins, das Scheiße stets abwärts, aber nie nach oben schwimmt. Ein Justizapparat, verseucht bis auf die Knochen, dessen Infektion vom Kopf ab anfängt zu stinken. Wo menschenverachtende Psychopathen wie Brennegan (Nick Nolte, irre!) moderne Sheriff-Komplexe ausleben dürfen und als Pestizid geschützt werden, um das minderwertige Gesindel „legal“ zu entsorgen. Sidney Lumet erzählt gewohnt unprätentiös, aber in seiner exakten Genauigkeit einen hochspannend konstruierten Plot, der etablierten Rassismus, Korruption und Machtmissbrauch als ganz natürlichen Virus darstellt, der längst schon den ursprünglichen Wirt übernommen hat. In dem echte Gerechtigkeits-Verfechter wie Reilly wirken wie Goldfische im Piranha-Aquarium. Aber mit dem Willen und der Überzeugung, nicht einfach abgenagt zu werden.
Tödliche Fragen hat eigentlich nur einen, deutlichen Makel. Die Beziehung zwischen Reilly und Nancy (Jenny Lumet, die Tochter von Sidney Lumet) ist ein dramaturgischer Fremdkörper. Beziehungskiste auf Soap-Niveau, die natürlich die Diskussion über Alltags-Rassismus hervorheben soll, aber so konstruiert und oberflächlich daherkommt, dass sie einen sofort aus der eigentlichen Stimmung kegelt. Sie dominiert nicht die Handlung, aber nimmt genau so viel Raum an entscheidenden Stellen ein, dass es massiv stört. Ärgerlich. Sicherlich auch der Romanvorlage geschuldet, allerdings hätte man das durch recht einfache Anpassungen wesentlich cleverer lösen können. Trotzdem bleibt am Ende ein sehr starker Film übrig, bei dem man irgendwann Angst bekommt, dass der arme Timothy Hutton zwischen den beiden hochmotivierten Naturgewalten Nick Nolte und Armand Assante (Judge Dredd) zerquetscht wird. Dass dies nicht geschieht, obwohl der Druck brachial ist, spricht für seine mindestens ebenbürtige Leistung.
„Maybe it´s better this way. Clean out the pipes. Start a whole new operation. Anybody know any chinks?“