Zuerst ist da nur das Innenleben des Pianos. Die Klaviermechanik, das Spielwerk, welches sich aus Tasten, Federn, Zungen, Stößeln, Dämpfern und Hämmern zusammensetzt und beim Tastendruck die Saiten zum Singen bringt. Es gibt nur die Akkorde, die sich durch das feingliedrige Handwerk des Pianisten in umschmeichelnde Klänge aufschwingen und durch den Gehörgang mäandern. Für Edouard Saroyan (Charles Aznavour, Die Blechtrommel), der sich seit einem schweren Schicksalsschlag als Charlie Kohler zu erkennen gibt, ist das Piano der letzte Bezugspunkt zu einer rosigen Vergangenheit, die ihm vollends entrissen wurde. Edouard hätte das Zeug gehabt, ein echte Autorität unter den Klaviermusikern zu werden, doch anstatt einem prunkvollen Konzertflügel hat ihm das Leben nur noch einen abgenutzten Klimperkasten überlassen.
Schießen Sie auf den Pianisten war der erste Film, den François Truffaut nach seinem Nouvelle-Vague-Klassiker Sie küssten und sie schlugen ihn. Die Lobeshymnen für sein Spielfilmdebüt erwiesen sich als regelrechte Bürde, Truffaut plagte der Erwartungsdruck, Selbstzweifel machten sich breit – eine Überraschung musste her, das stand fest. Anstatt, wie geplant, Regie und Drhebuch zu Die Außenseiterbande zu übernehmen, offenbarte Truffaut seine Liebe für amerikanische Kriminalgeschichten und verfilmte David Goodis' Down There: Die Geschichte eines virtuosen Pianisten, der lernen musste, dass es immer die Vergangenheit ist, die das Scheitern in der Gegenwart hofiert und besiegelt. Die Figur Edouard Saroyan fungiert dabei als eine Art Alter Ego Truffauts, eine figurale Projektionsfläche, die ohne Zweifel autobiographische Züge in sich trägt und vor allem Truffauts verhängnisvolle Schüchternheit zum Ausdruck bringt.
Genau diese Schüchternheit ist es, die Edouard in die Lebenskrise geführt hat, weil er in brenzligen Situation nicht in der Lage ist, überlegt zu reagieren. Stattdessen ergreift er die Flucht – und führt sich selbst (fast) in die emotionale Rückbildung. Neben dem existentiellen Diskurs über die Macht der Vergangenheit thematisiert Schießen Sie auf den Pianisten das schwierige Verhältnis zwischen Edouard und dem weiblichen Geschlecht (womöglich auch eine selbstreflektorische Komponente?): Immer, wenn der Pianist die Chance hat, eine neue Liebe einzugehen, es zu wagen, wartet bereits die nächste Katastrophe. Und da wird sein Charakter umso tragischer, weil die Dilemmata, die ihn förmlich verfolgen, ungewollt, ungezwungen, unversehens auf Edouard einprasseln. Manchen Menschen bleibt nur das Schweigen, dieses unsichtbare Band zwischen zwei Verliebten.
Natürlich genügt das nur selten. Und natürlich sehnt sich Edouard nach mehr, muss aber scheitern. François Truffaut erzählt diese Geschichte aber keinesfalls als deprimierenden Trauermarsch, sondern baut gerne auf spritzige, ironische Dialoge. Er erzählt Schlagen Sie auf den Pianisten als experimentierfreudige Charakterstudie, ohne falsche Scham, den Film noir als Inspirationsquelle aufzuzeigen, während die kriminalistischen Anleihen lediglich den Rahmen der Narration bilden und sich im Finale schließlich in einer malerischen Winterlandschaft entladen, die Edouards trauriges Schicksal weitergehend akzentuiert. Der armenisch-französische Chansonnier Charles Aznavour, der in diesem Jahr seinen 92. Geburtstag gefeiert hat, ist indes die Idealbesetzung für den introvertierten Pianisten: Er hat etwas Erotisches, ist aber niemals lüstern. Er hat etwas Unbedarftes, ist aber niemals naiv. Er ist einfach menschlich-unvollständig.