George Hammond ist einer von unzähligen Obdachlosen in der Weltstadt New York. Eines Tages schmeißt ihn ein Gebäudemanager ohne Vorwarnung aus seiner provisorischen Unterkunft, einem leer stehenden Apartment. So beginnt für ihn ein Kampf ums Überleben, denn es ist nicht leicht, jeden Tag eine Mahlzeit und einen Schlafplatz zu finden. Als seine Tochter ihn wiederholt abweist und er keine andere Möglichkeit sieht, zieht Hammond in eine der größten Obdachlosenunterkünfte Manhattans. Dort lernt er den geschwätzigen Dixon kennen, der schnell zu einem unentbehrlichen Zeitgenossen für ihn wird. In Zweisamkeit lässt sich das Leben leichter ertragen und Hammond beginnt sich für seine Mitmenschen zu öffnen.
Es mag überraschen, den charmanten Gentleman Richard Gere einmal in einer Rolle zu sehen, die so gar nicht seinem Image entspricht. Wenn der Name Richard Gere fällt, entwickelt sich in den Köpfen zumeist ein Bild des unwiderstehlichen Frauenschwarms aus „Pretty Woman“, ein Gedanke an den glamourösen Strafverteidiger aus „Chicago“ oder eine Erinnerung an den warmherzigen älteren Herren mit seinem Hund aus „Hachiko - Eine wunderbare Freundschaft“. Nur selten erlebte man den Golden Globe-Gewinnerin seinen Filmen als nahbaren, vom Schmutz des Alltags gezeichneten Menschen. Das Drama „Time Out of Mind“ gewährt jedoch einen konzentrierten Blick auf einen Richard Gere, der den Glanz Hollywoods hinter sich ließ und in die Rolle eines physisch und vor allem psychisch arg mitgenommenen Obdachlosen schlüpfte, der unter Verzweiflung lernen muss, mit den Trümmern seines gescheiterten Lebens umzugehen.
Oren Moverman, der mit „The Messenger – Die letzte Nachricht“ bereits Publikum und Kritiker zu beeindrucken verstand, zeigt sich bei dieser Geschichte um einen Obdachlosen auf den Straßen von New York für das Drehbuch und die Regie verantwortlich. Damit widmet er sich auf unverfälschte Weise dem Leben eines Mannes, der am Rande der Gesellschaft um sein Überleben kämpfen muss. Dabei beweist Moverman ein ungewöhnliches Maß an Wagemut, indem er in ausdauernden Sequenzen und zahlreichen dialogfreien Szenen den nackten, realen Alltag von George Hammond darstellt. Er wählt bewusst eine beobachtende Sichtweise und verzichtet auf eine eindeutige Innensicht des Hauptcharakters. Einerseits wird die Umwelt der Hauptfigur und damit auch die Geschichten der Menschen, die ihm begegnen, durch die Kamera in den visuellen Fokus des Zuschauers gerückt. Andererseits schlüpft der Zuschauer nie in den Körper der Hauptperson, sodass Informationen über sein vergangenes Leben erst tröpfchenweise, wie es die Dialoge zwischen ihm und seinen Mitmenschen gerade hergeben, ans Licht kommen. Wenn man nicht gewillt ist, sich auf die poetische Bildsprache und subtile Psychologie einzulassen, kann einen dieser Umstand durchaus in die Raserei treiben.
So sieht sich „Time Out of Mind“ ganz klar als neutrale Alltagsstudie, die ohne manipulative Instrumentarien die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Zustände, wenn nicht sogar Missstände in unserer Gesellschaft hinweisen möchte. Die Perspektive des neutralen Beobachters hat aber auch ihre Schattenseiten. Denn so knackig naturalistisch die Aufnahmen auch sein mögen und so ambitioniert der Film die Realität aufgreift, mangelt es ganz eindeutig an einem emotionalen Bezugspunkt für den Zuschauer. Die Bilder wirken stumm und in weite Ferne gerückt, was dadurch noch verstärkt wird, dass die Kamera vorzugsweise durch Glasscheiben auf das Geschehen gerichtet ist. So wie es an Interaktion innerhalb der Handlung fehlt, macht sich auch die ausbleibende Bindung des Zuschauers bemerkbar. Umso erquickender muten dann die Szenen zwischen Hammond und seiner Tochter an, die von Jena Malone gespielt wird. In diesen raren Momenten wird die Emotionalität entfesselt, die im Rest des Films tief in dem Hauptcharakter schlummert und sich nur ansatzweise erahnen lässt.
Während Richard Gere in der imagekonträren Rolle seines Lebens brilliert, stehen ihm die Darsteller in den Nebenrollen in nichts nach. Ben Vereen ist als der langjährige Obdachlose Dixon die Authentizität in Person, redet wie ein Wasserfall (was nach vielen stillen Szenen ein wahrer Genuss ist) und lässt auch mal die Hose unachtsam etwas rutschen. Steve Buscemi gibt sich hingegen nur kurz zu Anfang die Ehre, füllt aber die Rolle des Gebäudemanagers eindrücklich aus.
Fazit
Das Filmdrama „Time Out of Mind“ zeigt uns einen Richard Gere, wie wir ihn bisher nur selten zu Gesicht bekamen. In seiner Rolle des Obdachlosen George Hammond kommt seine unweigerliche Ausstrahlung auf ungewohnte Weise zur Geltung. Insgesamt entbehrt der Film einer Zugänglichkeit für den Zuschauer, da er sich zu sehr als neutrale Alltagsbeobachtung versteht. Wer sich jedoch auf seine besinnliche Erzählweise und die durchaus erhabenen Bildkompositionen einlassen kann, dem ist ein intensives Seherlebnis garantiert. Ein sozialkritisches Drama der besonderen Sorte, das durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
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