Dass die Asiaten einen Hang zum Pathos haben, ist nichts Neues. Für westliche Sehgewohnheiten ist das asiatische Kino in seiner stark gestischen und pathetischen Form sowieso erst einmal sehr ungewohnt. Toll gefilmt und umwerfend erzählt sind viele asiatische Ableger dennoch und so ist es immer wieder erfreulich, wenn ein Vertreter dieser ästethischen Kinomagie auch Anerkennung im westlichen Raum erfährt. Ang Lees “Tiger & Dragon” kann man guten Herzens als einen dieser ersten großen asiatischen Erfolge in westlichen Kinos (vor allem den USA) bezeichnen. Na gut, der Film wurde zur Hälfte von den Amerikanern mitproduziert und auch die Schauspieler sprechen fast alle nicht muttersprachlich Mandarin, aber gerade im Hinblick auf den Dreh in China und die benötigten Untertitel (mit denen sich in den USA doch höchstens diese komischen Arthouseleute abgeben) war “Tiger & Dragon” ein überraschender, wie erfreulicher Erfolg. Und dabei biedert sich der Film in gar keiner Weise zu arg an das westliche Kino an, sondern entführt den Zuschauer in eine ausgesprochen ruhiges, wunderschön gefilmtes und vor Symbolik nur so strotzendes Märchen, dass seine Geschichten mit einer außergewöhnlich eindringlichen Lautlosigkeit erzählt, die zu packen und faszinieren weiß.
Wenn man sich nun fragen sollte, woher dieser Erfolg denn kommt, dann wird man den wesentlichsten Grund vermutlich in den kuriosen, als auch großartig gefilmten Kampfsequenzen des Films suchen, die vor allem im Jahr 2000 (also kurz nach “Matrix”) sozusagen “in” waren. Aber natürlich ist das nicht alles. Hinter diesen furios und unvergleichlich gedrehten Kämpfen steckt nämlich auch immer der Status des Films als Märchen. Als Märchen über zwei sich liebende, aber unvereinbare Paare, die Kriegerehre, als auch die Lehre seine Kraft angemessen einzusetzen. Li Mu Bai’s (Yun-Fat Chow - “Pirates of the Caribbean: Am Ende der Welt”) Drang Jen Yu (Ziyi Zhang - “Die Geisha”) zu seiner Schülerin zu machen wird so fast zum interessantesten Konflikt des Films, der auch heute immer wieder vor allem im Superheldengenre aufgegriffen wird ("Mit großer Macht folgt große Verantwortung"). Die Frage nach dem eigenen Vermögen und der Ehre sich selbst als mächtiges Wesen einzuschränken, behandelt “Tiger & Dragon” dabei in genauso philosophischer, als auch überzeugender Manier, wie seine anderen Thematiken.
Und davon hat sich der Film eine ganze Menge aufgebürgt. “Tiger & Dragon” mag ruhig wirken, mag im ersten Drittel gar stagnierend erscheinen, ist dies aber zu keiner Sekunde. Vor allem in der Liebesgeschichte von Li Mu Bai und Yu Shu Lien (Michelle Yeoh - “Sunshine”) wird die Wichtigkeit von Gestik im asiatischen Kino sichtbar: Nur durch Blicke und kurze Entgleisungen der sonst so starren Mimik veranschaulicht Ang Lee (“Hulk”) das Verlangen zweier äußerlich absolut steinernden Kriegercharaktere und überträgt dies gerade aufgrund des Kontrasts von äußerer Ruhe und innerer Zerrissenheit bravurös auf den Zuschauer. Sowieso kann man “Tiger & Dragon” als Film der Kontraste bezeichnen. Ob nun die klischeehafte, aber überzeugend erzählte Kennenlerngeschichte von Jen Yu und Lo “Schwarze Wolke” Xiao Hu (Chen Chang - “The Grandmaster”), der Kontrast zwischen einer politischen ersten und initimen zweiten Hälfte, als auch der cinematographische Kontrast wunderbar grüner Wälder und weiter, düsterer Wüsten. Jeder Kontrast in diesem Film entfaltet seine Wirkung ausgezeichnet und unterstreicht die charakterliche Gefühlszerrissenheit (die so ziemlich jeden Hauptcharakter betrifft) auf schlüssig symbolische Weise.
Dabei wirkt “Tiger & Dragon” im Laufe seiner zwei Stunden schon fast wie ein Episodenfilm, dessen Rahmengeschichte sich zwar nicht unfassbar tiefgründig oder außergewöhnlich kreativ darbietet, dafür aber mit wunderbaren Geschichten gefüllt ist und sich so zumindest durch eine beachtliche Erzählweise dieser Geschichten auszeichnet. Eine lange Rückblende, plötzliche Szenenwechsel und sich ständig im Wechsel befindende Charakterbeziehungen geben dem Rahmen die nötige Komplexität, lenken dabei aber nicht zu sehr von den Figuren ab, die letztlich das Herz des Films darstellen und mit denen der Zuschauer auch durchgehend mitfühlt. Ob nun Jen Yus hin- und hergerissener Trotz (sie ist auf jeden Fall das Highlight des Films), Li Mu Bais kritisch beäugte Weisheit oder Yu Shu Liens unterschwellige und dennoch ewig präsente Melancholie: Das alles geht nicht aufgrund tiefschürfender Dialoge oder einer tiefsinnigen Menschlichkeit auf (wirklich menschlich ist hier eigentlich kaum einer), sondern aufgrund der wunderbaren Mimik, der hervorragenden Kameraarbeit, als auch der tollen Darsteller. Ob nun Yun-Fat Chow, Michelle Yeoh oder Ziyi Zhang, sie alle machen ihre Sache einwandfrei. Da stören auch falsche Akzente wenig.
Und selbst wenn man aufgrund dieser meisterhaften Vorzüge immer noch nicht gnadenlos in die Welt von “Tiger & Dragon” gezogen wurde, sollte dies doch letztlich die ausgezeichnete Inszenierung bewerkstelligen. Die Sets sind einfach atemberaubend schön und abwechslungsreich, die Kameraarbeit makellos und von einer erhabenen Ruhe, die auch die Charaktere des Films auszeichnet. Bemängeln könnte man höchstens den doch recht einseitigen musikalischen Einsatz, der oft mehr Gedudel als orchestraler Beitrag ist. In seinen besten Momenten trägt aber auch der Soundtrack gelungen zur tiefen Immersion bei, die der Film versprüht.
Hier und da übernimmt sich “Tiger & Dragon” aber dann doch. Vor allem aufgrund seiner vielen Subplots, die nicht immer aufgehen wollen. Zum Einen sei da Lo “Schwarze Wolke” genannt, der zwar einige tolle Szenen sein eigen nennen kann, am Ende aber ein wenig zum symbolischen Zweckmittel für Jen Yu degradiert wird. Zum Anderen trägt auch die anfangs aufgemachte Geschichte um den Undercover-Cop Tsai wenig zum großen Ganzen bei. Wirklich misslungen scheint davon aber nur die Figur von Jade Fuchs (Pei-Pei Cheng), die sich als anfänglicher Bösewicht nur durch Schlechtheit und bösen Willen auszeichnet und dadurch nicht ansatzweise die Komplexität der anderen Charaktere erfährt. Und dies macht diesen Charakter vor allem eins: Uninteressant.
Dies alles ändert aber wenig an der Tatsache, dass “Tiger & Dragon” wohl einer der eindringlichsten, wunderschönsten und inszenatorisch besten asiatischen Beiträge ans westliche Kino geworden ist. Zumindest von denen, die genügend Aufmerksamkeit und Erfolg bekommen konnte. Von zwei pathetischen aber nie zu kitschigen Liebesgeschichten, über interessante, aber nicht aufdringlich tiefgründige Charaktere hin zu furiosen, eher tänzerischen Kampfchoreographien, die den Kontrast von “Tiger & Dragon” zwischen real und losgelöst, eindringlich und distanziert, als auch packend wie berührend noch einmal wunderbar unterstreichen. Nicht ohne Fehler, aber zum Großteil schlicht meisterhaft.