Der Vampir besitzt viele Gesichter und ist in der Filmgeschichte längst nicht mehr nur der vornehme Graf aus den transsilvanischen Wäldern, der des nachts mit den Wölfen um die Wette heult und sich an den Hälsen williger Jungfrauen vergreifen möchte. Auch sein schauerliches Domizil wird inzwischen nicht mehr mittels tagelanger Reise in der klapprigen Kutsche erreicht, um dann auf halber Strecke vom Kutscher plötzlich gesagt zu bekommen, die Straße würde hier enden. Der Vampir ist ein Teil unserer Gesellschaft geworden und die Mythologie des Blutsaugers hat sich dem kulturellen Wandel angepasst, wenngleich dieser die klassischen Grundsätze des Vampirismus ad absurdum führen mag. Dabei muss nicht nur fortwährend auf dem „Twilight“-Franchise herumgehackt werden, das dem einst so stolzen Untoten zur Glamourfarce degradierte und der pubertären Zielgruppe mit Edward, Bella und Jakob drei neue Götzen servierte. Auch Neil Jordon betrat mit seinem durchaus gelungenen „Byzantium“ neue Pfade und nahm dem Vampiren nicht nur die Angst vor dem pulverisierenden Sonnenlicht, sondern auch gleich ihre ikonischen Eckzähne.
Die Entwicklung des Vampirs hat nicht nur Vorteile mit sich gebracht, aber sie spornt doch den Erfindungsreichtum innerhalb verschiedener Medien an und eröffnet der Thematik so neue, unverbrauchte Blickwinkel. Spannend wird es, wenn sich ein Film über die handelsüblichen Genre-Muster des Vampirfilms hinausbewegt und sich traut, über den Tellerrand zu blicken, anstatt in der groben Dialektik des Horrorfilms zu verweilen, in dem der Kampf von Gut und Böse lustlos abgespult wird. Der Vampir ist ja nicht nur Bestie, er ist doch auch ein Symbol für die Lust, für die endlose Begierde, für die Suche nach Befriedigung, den Kampf gegen die innere Leere und ein tragisches Opfer seines immerwährenden Umstands. Genau wie sich der Vampirismus in all seinen Praktiken und Impressionen als Metapher für die Liebe verstehen lassen kann. Es muss quasi ein Übergang gerechtfertigt werden, der mit den allseits bekannten Motiven und Regularitäten spielt, indem er sie vordergründig bedient, diese grundsätzlichen Klischees aber durch die Eigeninterpretation versetzt und letztlich auch den Mut dazu hat, sie zu zerbrechen.
Park Chan-wook („Oldboy“) findet mit „Durst“ interessante Wege und Mittel, sich dem Thema zu nähern, ohne sich in Konventionen zu suhlen oder sich zu weit, zu forsch vom zentralen Konflikt des Vampirs zu distanzieren. Sehr lose an Émile Zolas Roman „Thérèse Raquin“ angelehnt, ist Wook mit „Durst“ ein echter Diskurs über die Moral des Menschen im Zeichen des Vampires geglückt, in dem er sich nicht nur auf die ausdrückliche Parallelität zwischen Leben und (Un-)Tot beschränkt, seine informalen Aspekte streuen in vielerlei Richtung: Ob theologisch, sexuell und eben in der grundsätzlich alles dominierenden Ethik. Es beginnt mit dem katholischen Priester Sang hyun (Song Kang-ho), der sich bei einem medizinischen Experiment mit dem tödlichen Emmanuel-Virus infiziert, durch eine ihn rettende Bluttransfusion aber erhalten bleibt – Nur verwandelt diese ihn zum Vampiren, weckt seinen Blutdurst und steigert seinen Sexualtrieb. Die Diskrepanzen sind nun offensichtlich und muten gar zur plakativen Auseinandersetzung an, der Wook in seinem – wie gewohnt – überaus arretierenden Tonus auch gelegentlich verfällt, erzählerisch wie visuell.
Ein Meer aus Blut hätte es am Ende sicher nicht gebraucht und auch die Sprungkraft der Vampire, wenn sie von Terrasse von Terrasse hüpfen, animiert doch zum deplatzierten Schmunzeln. Obwohl Wook auch in „Durst“ über einen doch eigentlich relativ treffsicheren und zündenden Einsatz von schwarzem Humor verfügt, wissen sich manche Szenen dem eigentlichen Humorverständnis von Park nicht richtig anzupassen und lassen den Film, der zuweilen sowieso schon um die narrative Konstanz zwischen seinen Kapiteln fürchten muss, etwas unrhythmisch wirken. Davon lässt sich ein echter Park aber nicht unterkriegen und weiß den Zuschauer durch seine Charaktere in die tiefen psychologischen Zwiespälte und Dissonanzen ihrer christlichen oder unterdrückten Vorgeschichten wie blutdürstenden Wiedergeburten zu fesseln. Der Priester, der gegen seine religiösen Prinzipien verstoßen muss, egal wie sehr er sich auch dagegen wehrt. Und die Hausfrau Tae-joo (Kim Ok-bin), deren Existenz nur noch aus maschineller, gefühlloser Monotonie besteht, bis sich ihre Wege kreuzen und sich die Maschen innerhalb des Geflechts aus Leidenschaft, (Selbst-) Verrat, Schuld und Sühne immer drastischer verengen.
„Durst“ kann sich seiner artifiziellen Note nicht entziehen, die Einstellungen und Montagen wirken oftmals wie geleckt und nachträglich desinfiziert, um sich jedem Dreck verweigern zu können. Inhaltlich aber schafft Park es, einen (un-)menschlichen Realismus aus der phantastische Anlage der Geschichte zu evozieren, der in seiner schwarzen Romantik ebenso berührt, wie er auch in seiner morbiden Stringenz erschreckt. Der Vampir beginnt hier kein neues Dasein im eigentlichen Sinne, er wäscht sich nicht rein, seine Vergangenheit begleitet ihn auch in das Reich der Schatten, in die doppelte Wirklichkeit des Seins, und die individuelle Philosophie ist es, die unsere Charaktere in ihre Schranken weist. Park schenkt „Durst“ in einem konsequenten, sich ganz dem abschließenden Ausdruck auswegloser Radikalität hingebenden Ende aber gleichzeitig einen so intimen, melancholischen Moment, der in seiner oberflächlichen Härte doch einen Anstrich echter Schönheit bekommt. Das Herz schlägt auch in der Brust des Vampires weiter, man sieht und hört es nur nicht.