Inhalt
Die junge Frances vermisst ihre verstorbene Mutter und zieht nach Manhattan, wo sie eines Tages eine vergessene Handtasche in der U-Bahn findet und ihrer dankbaren Besitzerin, Klavierlehrerin Greta, zurückgibt. Aus einem anfänglichen Gespräch entwickelt sich schnell eine Freundschaft zwischen Frances und Greta, die eine Witwe ist und sich der jungen Frau gegenüber fast schon mütterlich verhält. Doch bald muss Frances erkennen, dass die Klavierlehrerin finstere Pläne verfolgt. Denn in ihrem Haus befinden sich mehrere identische Handtaschen, die jeweils mit Post-Its versehen sind, auf denen unterschiedliche Namen stehen. Frances versteht nicht, was es damit auf sich hat und vertraut Greta nicht mehr. Auch ist sie ihr nicht mehr geheuer, weshalb sie den Kontakt zu Greta abbricht. Doch die Witwe kann den Kontaktabbruch nicht akzeptierten und lauert der jungen Frau auf…
Kritik
Dass es in New York tatsächlich noch pflichtbewusste Menschen gibt, beweist die Kellnerin Francis (Chloe Grace Moretz, Suspiria), die in der U-Bahn eine herrenlose Handtasche entdeckt. Anstatt das darin enthaltene Geld zu nehmen und das Modeaccessoire in der nächsten Mülltonne zu versenken, macht sie sich auf zu Greta (Isabelle Huppert, Elle), der rechtmäßigen Besitzerin. Die alternde Französin zeigt sich daraufhin auch äußerst dankbar, bittet Francis zu einer Tasse Tee in ihr beschauliches Haus und offenbart ihr nach und nach ihre Einsamkeit. An diesem Punkt, der die ersten 15 Minuten des Filmes einnimmt, kann sich Greta noch in alle Richtungen entwickeln: Zwischenmenschliches Drama? Sanftmütige Tragikomödie? Oder, so wie sich Neil Jordan (Byzantium) und sein Co-Autor Ray Wright entscheiden, in einen reißerischer Psycho-Thriller.
Oscar-Gewinner Neil Jordan, der mit Die Zeit der Wölfe, The Crying Game und Interview mit einem Vampir gleich mehrere Klassiker in seiner Vita aufzuweisen hat, unterwirft sich mit Greta allen Konventionen des reichhaltig beackerten Stalker-Genres und besitzt dabei weder den provokativen Sleaze-Appeal eines Brian De Palma (Der Tod kommt zweimal), noch die erzählerische Durchtriebenheit eines The Gift. Lange Zeit wirft der Film auch während der Sichtung die von Irritationen getriebene Frage auf, wieso sich ein so erfahrener und zweifelsohne kompetenter Filmemacher wie Jordan dazu hinreißen lassen hat, einen derart konfektionierten Thriller in Szene zu setzen, der weder seinem Sujet neue Impulse abzuringen vermag, noch dessen (inzwischen doch recht) muffiges Wesen auf einer Meta-Ebene kommentiert. Die Antwort darauf ist so lächerlich augenfällig wie nachvollziehbar.
In Wahrheit nämlich geht es in Greta primär darum, die erbarmungswürdige Isabelle Huppert bei der Arbeit bestaunen zu dürfen. Als strategisch agierende, manipulative und durch und durch boshafte Psychopathin reißt sie durch ihre (wortwörtlich) unheimlich autoritäre Präsenz den Film gnadenlos an sich und spielt meisterhaft gegen die einfallslose Spannungs- und Eskalationsdramaturgie an, für deren Wirkung Neil Jordan oftmals gerne jeden Funken Logik konsequent außer Acht lässt. Allein um Huppert noch übermächtiger, noch allgegenwärtiger, noch dämonischer erscheinen zu lassen. Dadurch begreift sich Greta zuvorderst als Hommage an die Pariser Grande Dame und kann sich erst auf den zweiten Blick wohlwollend als bewusst klassische Annäherung an die traditionellen Topoi des Psycho-Thrillers deuten lassen. Jordan jongliert hier zwar mit vertrauten Versatzstücken des Genres, allerdings setzt er diese nicht sonderlich fingerfertig an- und ineinander.
Aufdringlich stülpt sich der penetrante Score von Javier Navarrete über das düstere Szenario und möchte dem Zuschauer immer wieder die Emotionen (zuvorderst Angst, zuweilen auch die Beklemmungen sozialer Isolation) vorwegnehmen, die sich in der entsprechenden Szene eigentlich entfalten sollten. Greta aber hat besitzt Gespür für die psychologischen Konditionen seiner Charaktere, sondern begreift sie als Gefäße, die mit eindeutigen Gefühlsausbrüchen gefüllt werden müssen. Dass hinter der kalkulierenden Arglist Greta auch immer ein Funken Verletzlichkeit aufblitzt, liegt allein an Isabelle Huppert, die – mal wieder – mehr aus ihrer Figur herausholt, als es das Drehbuch hergibt. Ohnehin möchte man der Vermutung anheimfallen, dass es Greta ohne seine beiden Hauptdarstellerinnen niemals zu Kinoauswertung gebracht hätte. Verdientermaßen, denn so plump, klischeehaft und vorhersehbar, wie der Film sich artikuliert, passt er abseits seiner schauspielerischen Qualitäten hervorragend auf den Videothekenmarkt.
Fazit
Mit "Greta" liefert "Interview mit einem Vampir"-Regisseur Neil Jordan einen überraschend plumpen und reißerischen Psycho-Thriller ab, der freimütig den Konventionen, Klischees und Stereotypen des Genres verfällt. Dass der Film eine Kinoauswertung bekommen hat, liegt wohl zuvorderst an seinen Hauptdarstellern. Vor allem Isabelle Huppert liefert als durchtriebene Psychopathin eine sensationelle Performance ab und beweist noch einmal, dass sie wirklich in der Lage ist, Filme durch ihre schiere Präsenz gnadenlos aufzuwerten.
Autor: Pascal Reis