Der Gerichtsthriller, er sollte der einzigartig brillante Einstieg von Sidney Lumet als Kinoregisseur werden (1957 mit dem Jahrhundertwerk Die zwölf Geschworenen) und dann für exakt 25 Jahre aus seiner bis dahin überwiegend famosen Vita verschwinden, bis er das Genre 1982 mit The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit wieder aufgriff. Leider muss darin rückwirkend auch so eine Art Rettungsring ausgemacht werden. Als seine Karriere Anfang der 90er bergab ging, folgten mit Jenseits der Unschuld (1993), Nacht über Manhattan (1996) und Find Me Guilty – Der Mafiaprozess (2006) gleich drei ähnlich gelagerte Filme, die niemals auch nur in die Nähe der früheren Arbeiten herankam. Dieser fünffach Oscar-nominierter, bei den Awards aber letztlich erfolglose Beitrag schrammt dafür nur hauchdünn an den meisterlichen Qualitäten vorbei, die Lumet bis dahin zu einem der wichtigsten und besten Filmschaffenden seiner Zeit gemacht hatten.
Frank Galvin (sensationell: Paul Newman, Die Farbe des Geldes) – einst ein aufstrebender Anwalt – verbringt unlängst mehr Zeit am Flipper seiner leicht versifften Stammkneipe und mit einem durchgehenden Minimumpegel als in seinem Büro oder erst recht vor Gericht. Wenn, versagt er dort konstant und versucht sich durch das schäbige Einschleichen auf Trauerfeiern irgendwie Schadensersatzprozesse zu ergaunern, was genauso wenig von Erfolg gekrönt ist. Galvin ist am Boden. So sehr, dass er beinah verpennt, dass er eigentlich längst einen Fall hat, zugeschustert von seinem Freund und Partner Mickey (ebenfalls hervorragend: Jack Warden, Das Leben nach dem Tod in Denver). Den einer jungen Frau, die bei der Geburt ihres dritten Kindes offenbar falsch anästhesiert wurde und seitdem im Koma liegt. Schnell verdientes, dringend benötigtes Geld, denn die Gegenseite ist ein Krankenhaus der Erzdiözese von Boston, die Angeklagten zwei ihrer wichtigsten Ärzte und wirklich niemand ist ernsthaft an einem Prozess interessiert. Nicht mal die Angehörigen des Opfers, die nur eine vernünftige Abfindung wünschen, um es/sie entsprechend versorgt zu wissen. Doch als Galvin mit zitternder Hand den Scheck über 210.000 $ entgegen nhemen soll, lehnt er ihn kurzentschlossen ab.
Zunächst mag man meinen, aus reiner Gier, da er echte Siegeschancen bei dem Prozess wittert. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass er tatsächlich aus Idealismus heraus handelt. Und natürlich auch, um sich selbst etwas zu beweisen. Ein mutiges, ein integres Verhalten, dass jedoch auf sehr viel Unverständnis von allen Seiten stößt und ihm in diesem knallharten Mikrokosmus fauler Kompromisse schnell zum Verhängnis wird. Längst nicht mehr mit dem Topniveau seiner Zeit vertraut setzt Galvin naiv auf sein einziges Ass im Ärmel, das ihm durch ein Loch des selbigen zum ungünstigsten Zeitpunkt entwischt. Selbstverständlich initiiert durch seine mit allen Wasser und Mitteln gewaschenen Gegenspieler, hauptsächlich personifiziert durch Ed Concannon (James Mason, The Boys from Brazil), dem Kopf einer Anwaltskanzlei ohne falsche Gewissensbisse. Selbst der Richter hat von vornherein seine nicht mal verdeckten Präferenzen. Alles spricht gegen den notorischen Versager Gavin, der sich viel zu schnell Hals über Kopf in einen Kampf verrennt, den er allein wegen des großzügigen Vergleichsangebot niemals hätte annehmen dürfen.
Sidney Lumet erweist sich einmal mehr als Meister seines Fachs und liefert mit The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit eine intensive wie spannende Mischung aus im besten Sinne konservativem, allgemein-konsumierbaren Justizthriller und empathischer Charakterstudie, die besonders durch den exzellenten Paul Newman zum Leben erweckt wird. Die Geschichte, sie ist gut, aber nicht überragend; eher als effektiv zu bezeichnen. Mehr braucht es aber in diesem speziellen Fall kaum, denn Präsentation und Narration sind schlicht grandios. Zu einer Zeit, als die New Hollywood-Welle bereits wieder an den Klippen des Popcorn-Kinos zerschellt, mutet dieser Film fast wie ein Spätzünder an. Nicht so radikal und kontrovers in seiner Thematik, in seiner Stilistik aber umso eindeutiger. Nie reißerisch, nie pathetisch - trotz zahlreicher Offerten - , bleibt The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit standhaft, jederzeit authentisch und konzentriert sich weniger auf das reine, juristische Verfahren. Sondern viel mehr auf die Figuren und Endwicklungen drum herum. Der Ausgang ist beinah zweitrangig: Die Entstehung, der Blick hinter die Kulissen und auf die Methoden sind wesentlich wichtiger, erhellender und nachdenklich stimmender, als ein einzelnes Urteil es jemals sein könnte.