Pixar ist zurück. Seit ihrem letzten abendfüllenden Spielfilm („Die Monster Uni“) sind immerhin zwei Jahre vergangen. Nun, dafür können wir uns dieses Jahr gleich auf zwei neue Filme des Animationsimperiums freuen. Neben „Alles steht Kopf“ erwartet uns bald auch (am 26. November) „Der gute Dinosaurier“. Es ist natürlich schon ein Zeichen von Unfairness, wenn man dieses Werk vorab, ohne es gesehen zu haben, unterstellt der schwächere der beiden, neuen Filme zu sein. Doch es scheint nur schwer möglich, dass die animierten Dinos dieselbe filmische Größe erreichen wie „Alles steht Kopf“, denn dieser erweist sich neben „Toy Story 3“ als wohl größter und bester Film der Pixar-Historie.
Technisch beweist das Studio, welches 2006 für 7,4 Milliarden US-Dollar von Walt Disney gekauft wurde, dass sie immer noch zu den Besten gehören. Die tricktechnische Perfektion, der Umgang mit Formen und Farben, Strukturen und Licht sind auch hier wieder meisterhaft und lassen keinen anderen Schluss zu, als dass „Alles steht Kopf“ zu den optisch wohl hübschesten Animationsfilmen aller Zeiten gehört. Dazu haben natürlich auch die kleinen aber feinen Details, die hier allerorts zu erspähen sind, ihre großen Auftritte und natürlich dürfen sich nimmersatte Pixar-Fans erneut darauf freuen meist recht gut versteckte Easter Eggs zu anderen (Meister-)Werken des Studios aufzuspüren. Aber die Technik des Films ist eigentlich nur marginal interessant, denn „Alles steht Kopf“ bietet noch andere Qualitäten, die darüber hinaus weitaus prägnanter sind, z.B. dass der mittlerweile 15. Spielfilm von Pixar mehr auffährt, als eine Geschichte, die mit Emotionen als Helden eher ungewöhnliche Figuren zu bieten hat.
Das Besondere, oder vielmehr das Schöne am Film ist, dass er gleich auf mehreren Ebenen etwas zu bieten hat und vor allem auch funktioniert. Da hätten wir die Ebene der reinen Unterhaltung. Hier lässt sich der Film von Pete Docter und Ronaldo Del Carmen (der hier sein Spielfilmdebüt gibt) wirklich nicht lumpen und bietet Kurzweil pur. Das alleine wird dafür sorgen, dass jede Altersgruppe eine spaßige Zeit im Kinosaal hat. Darüber hinaus bietet „Alles steht Kopf“ aber noch eine durchaus philosophische und verspielt poetische Ebene. Wie die Welt unserer Gedanken, Gefühle und Träume von Pixar dargestellt werden lässt sich zwar mit den beiden Wörtern „kreativ“ und „phantasievoll“ beschreiben, doch als wirklich zufriedenstellend kann man diese Kurzbeschreibung nicht bezeichnen.
Denn was Pixar hier aus ihren Hochleistungs-Rechnern und vor allem Köpfen zaubert lässt sich nur schwer adäquat beschreiben. Zu bunt, vielfältig, überbrodelnd und euphorisch ist das, was man auf der Kinoleinwand zu Gesicht bekommt. Am besten eignet sich wohl das Adjektiv „unbeschreiblich“. Ja, dieses kleine Wort umreißt „Alles steht Kopf“ so grob wie dennoch passend. Dass das Animationsstudio aus Emeryville, Kalifornien seit Beginn ihres Bestehens für Detailliebe, perfekt umgesetzte Ideen und umwerfenden Einfallsreichtum steht, sollte nicht erst seit gestern bekannt sein. Doch mit dieser Reise durch die eigentlich komplexe Welt unseres Geistes hat Pixar ihren neuen Höhepunkt erschaffen.
Ähnlich wie bei „Toy Story 3“ besitzt der Film viele Facetten, die ihn vor allem für Erwachsene interessant machen. Während jüngere Zuschauer sich vom knuffigen wie überaus liebenswerten Design erfreuen, erwartet uns ältere Semester, auch emotionale Momente der Reflexion, wenn uns der Film selbst die Frage gegenüberstellt, welche Erinnerungen wir vergessen haben. All die schönen Momente, die wir fest in unseren Kopf eingeschlossen und die wir doch im Weiten unseres Verstandes vergessen haben und dies wahrscheinlich für immer. Eine Erkenntnis die uns in abgewandelter Form auch das dritte Abenteuer von Cowboy Woody und Space Ranger Buzz Lightyear einbrachte und genau wie dort ist es nicht die Verzweiflung die obsiegt, sondern Optimismus. Ein Ende ist eben meist auch ein Anfang.
„Alles steht Kopf“ huldigt also auch unserer Kindheit, dieser unschuldigen Zeit des Entdeckens und der scheinbaren Grenzenlosigkeit. Wie immer bei Pixar funktioniert dies alles als reines Unterhaltungsprodukt genauso wie als emotionale Konfrontation. Das Besondere: Ganz egal ob man sich darauf einlassen mag oder sich dafür entscheidet den Film einzig als abenteuerliche Komödie wahrzunehmen, „Alles steht Kopf“ macht so oder so irrsinnig viel Spaß, wegen seiner fast schon maßlosen Freude am Erschaffen phantastischer Welten, die jede für sich ein unbändiges Potenzial besitzt und mehr ist als eine bloße Bühnenschablone zum narrativen Austoben.
Gewiss, wirklich viel wagen tut Pixar mit „Alles steht Kopf“ nicht. Man denke nur daran was alles möglich gewesen wäre, wenn die Macher sich nicht in den Kopf der elfjährigen Riley eingedockt hätten, sondern in den eines alten Menschen. Ja, die Grundidee von „Alles steht Kopf“ ist geradezu eine Einladung auch einmal etwas vollkommen Neues zu versuchen. Diese Chance hat Pixar leider verstreichen lassen, doch haben sie aus der gewählten Richtung ihres Films das Maximum herausgeholt, bzw. verstehen es mit reinrassigem Ideenüberschuss zu kompensieren. Vielleicht sollte sich Pixar einmal trauen die sichere Burg kindlicher Themen oder Darstellungen zu verlassen? Aber wer kann ihnen das wirklich verübeln? Und Mut beweisen sie ja durchaus mit ihren Filmen, so auch in „Alles steht Kopf“.
So gibt es im Film mit der Figur des Bing Bong (im Original großartig vertont von Richard Kind, „A Serious Man“) einen emotionalen Sympathieträger, dem die große Bürde zu Teil wird vor allem uns selbst klar zu machen, das Erinnerungen wie wir selbst vergänglich sind. Bing Bong war einst der imaginäre Freund von Riley und fristet seit dem sie ihn vergessen hat, ein Dasein als eine Art Landstreicher zwischen den meterhohen Regalen von Rileys Erinnerungsspeicher. Dieser Bing Bong steht quasi für die enorme, emotionale Qualität von „Alles steht Kopf“. Ein Film, bzw. eine Geschichte, der es gelingt einem erwachsenen Zuschauer ein Elefantendelfinwaschbärzuckerwattewesen so nahe zu bringen, dass das Zwerchfell genau so viel zu tun hat wie die Tränendrüsen, zeugt von einer enorm beeindruckenden Leistung. Der Autor dieser Kritik schämt sich nicht davor zuzugeben, dass er dank Bing Bong seit langem im Kino mal wieder geweint hat. Er will aber auch anmerken, dass „Alles steht Kopf“ hin und wieder etwas zu sehr im Kitsch wühlt.
Aber natürlich steht das Lachen im Fokus von „Alles steht Kopf“ und auch hier kleckert Pixar nicht, sondern klotzt! Dabei verzichteten die Macher darauf unentwegt die ganz großen Brüller rauszuhauen. Viel mehr gelingt es ihnen, dass man über die gesamte Laufzeit ein Lächeln auf den Lippen hat, welches sich immer wieder zu einem lauten Lachen wandelt, etwa wenn wir als Zuschauer endlich erfahren warum Katzen so sind wie sie nun einmal sind, was in den Köpfen von Eltern vorgeht oder wie in unserem Kopf eigentlich Träume produziert werden (Stichwort: Traumfabrik).