Wir schreiben das Jahr 1999: Die Schulhöfe werden von Pokemondealern regiert, im Radio läuft alle drei Sekunden „Mambo No. 5“, Heimcomputer halten auch in den weniger fortschrittlichen Haushalten Einzug und... Naja, wir schreiben natürlich nicht wirklich das Jahr 1999. Ich dachte nur, es käme cool, ein bisschen das Umfeld und den Zeitgeist zu setten, in dem Matrix rausgekommen ist. So ganz unwichtig ist das mit dem Y2K-Wahn und der beginnenden Digitalisierung der Gesellschaft nicht, für einen Film der die Versklavung der Menschheit durch Maschinen thematisiert. In dieser Hinsicht war er zwar weder besonders einflussreich noch kontrovers, aber in anderen Bereichen war er absolut richtungsweisend. Allein die Masse an Anspielungen und Parodien bestimmter Szenen in den folgenden Jahren ist ein Testament dafür, wie stark Matrix die Vorstellungskraft der Allgemeinheit beschäftigt hat. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass der Film einen Meilenstein des Actiongenre darstellt und damit einen ähnlichen Status wie Stirb Langsam verdient hat. Denn ähnlich wie bei Die Hard wurden hier sowohl auf inhaltlicher als auch darstellerischer Ebene frische Konzepte und Kombinationen bereits bekannter Elemente eingeführt.
Da ist zunächst einmal die Handlung. Im Wesentlichen folgt diese ziemlich geradlinig der Monomythos-Struktur, wie der flacheste Fantasy-Roman, den man sich vorstellen kann. Vom Ruf zum Abenteuer („Wake up, Neo“), der Grenzüberschreitung (rote oder blaue Pille), übernatürlicher Hilfe (das Orakel) und so weiter und so fort – Es gibt keinen einzigen Punkt in der Handlung von Matrix an dem ein weniger intelligenter Zuschauer darüber verwirrt sein könnte, wie die Situation ist oder was gerade passiert. Und trotzdem wirft der Film in Dialogen immer wieder komplexere Themen auf, wie die Grenzen der eigenen Wahrnehmung und damit der Realität, die Natur des Menschen, der Konflikt zwischen Schicksal und freiem Willen und einiges mehr. Es sind diese Einwürfe, die dem ganzen einen Anstrich von Stil und Verstand geben und die unzählige junge Männer in die Philosophie und das Tragen von langen Mänteln getrieben hat. Sicher reicht das nicht aus um diesen Blockbuster zu einem tatsächlich intellektuellen Film zu machen, aber hier wird zumindest eine intellektuelle Ebene hinzugefügt. Ein Element, das Actionfilmen der 90er fast vollkommen abgeht und im Laufe der 2000er immer weiter Fuß fasste.
Und was man für einen Film dieser Art nie vergessen darf: Er hat einen wunderbaren Schurken. Grundsätzlich ist ja das menschenversklavende „System“ der Feind, aber wirklich personifiziert wird es für uns durch Agent Smith. Wie wir aber ab einem gewissen Punkt mitbekommen, ist Smith gar kein besonders repräsentativer Vertreter des „Systems“. Im Gegensatz zu seinen Kollegen ist er nämlich nicht nur ein effizientes Werkzeug. Er ist von Hass und Abscheu und dem Wunsch nach seiner eigenen Nicht-Existenz getrieben. Kurz: Er ist wahnsinnig. Damit hat er sich auf eine sehr verschrobene Art und Weise tatsächlich „infiziert“ und vermenschlicht. Das ist zwar auf die denkbar schlimmste Art und Weise geschehen, aber das macht ihn zu einem wesentlich adäquateren, persönlicheren Gegner. Nur deswegen kann man als Zuschauer ein ganz anderes Verhältnis zu ihm aufbauen als zu den anderen Agenten.
Aber lassen wir das alles mal beiseite, denn in erster Linie ist Matrix eben doch nicht für den Kopf, sondern für die Augen. Und auf der Ebene ist er wirklich grandios. Die Sets und der ganze Look sind für sich genommen schon sehr stylisch und gut inszeniert, noch bevor die eigentliche Action einsetzt.
Darüber hinaus sind wir jetzt endlich an einem Herzstück des Films angelangt: Special Effects und Actionszenen! Nicht alle davon sind problemlos gealtert und eine Menge CGI sieht nacht heutigen Standards etwas billig aus, aber glücklicherweise sind die Kämpfe davon weniger betroffen, weil sie sehr stark auf zwei Effekten beruhen, die nicht von CGI abhängig sind: Drahtseil-Action und Slow-Motion. Erstere Technik ist ein Lehnstück aus chinesischen Kung-Fu Filmen und bekam durch Matrix eine Renaissance in Actionfilmen. Zweitere ist ein echter Geniestreich. Actionfilme beruhen grundsätzlich auf einer Art Steigerungslogik. Man muss immer neue und immer spektakulärere Szenen erdenken und umsetzen um das Publikum bei der Stange zu halten. Durch die gesamten 90er werden diese Szenen größer, länger und vor allem schneller. Das Problem dabei ist, dass irgendwann der Punkt gekommen ist, an dem das für den Zuschauer keinen Sinn mehr macht. Wenn der Fokus immer weiter wird, gehen die Details verloren. Wenn die Geschehnisse immer schneller werden, kann man irgendwann nicht mehr nachvollziehen, was eigentlich passiert.
Die Action in Matrix geht genau den gegenteiligen Weg: Sie geht näher heran und sie verlangsamt die Zeit. Die offensichtliche Referenzszene ist hier natürlich die, in der Neo den Kugeln ausweicht, aber die Technik zieht sich durch den ganzen Film und sie funktioniert so fantastisch. Wenn wir in Zeitlupe sehen, wie ein Agent eine Betonsäule mit der Faust durchschlägt, dann ist es nicht nur eindrucksvoll, wegen der eigentlichen Tat. Wir haben auch genug Zeit zu sehen wie einzelne Betonsplitter wegfliegen und wahrzunehmen, wie wenig Widerstand diese Faust findet. Die Wachowskis hatten die simple aber geniale Einsicht, das Tempo nicht einfach weiter zu erhöhen, sondern es zu verringern! Tatsächlich hat sich „Bullet-Time“ nicht nur in Filmen als darstellerische Technik gehalten, sondern auch in Videospielen wie „Max Payne“ als eine der coolsten und spaßigsten Fähigkeiten überhaupt etabliert.