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In seinem essayistischen Film arbeitet Jean-Luc Godard mit zum Teil verfremdeten und zerstörten Bildausschnitten aus Filmen, Nachrichtensendungen und Handyvideos, um den derzeitigen Zustand der Menschheit zu hinterfragen und anzuklagen. 

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Das filmische Spätwerk von Jean Luc-Godard (Die Verachtung) gleicht einem letzten Aufbäumen, das Kino noch einmal in seinen Grundfesten zu erschüttern sowie in seine Einzelteile zu zerlegen und neu anzuordnen. Der französische Regisseur hat sich in seiner Karriere schon immer als wüster Erneuerer verstanden. Als Teil der Nouvelle Vague-Bewegung trug er mit bedeutenden Werken wie Außer Atem dazu bei, die konventionelle Filmsprache stark zu verändern und eine Ästhetik zu entwickeln, deren Einfluss bis heute maßgeblich prägend ist. In der jüngeren Phase seines Schaffens, die zugleich das letzte Kapitel im Wirken Godards markieren dürfte, hat der Regisseur seinen Stil nochmals entschieden radikalisiert. Mit klassischen Spielfilmen haben seine Werke aus den vergangenen Jahren wie Goodbye To Language kaum mehr etwas gemeinsam. Stattdessen fertigt der Franzose nunmehr essayistische Experimente an, die sich in ihrer philosophisch angehauchten Thesenhaftigkeit und den noch extremeren formalen Stilbrüchen ausschließlich an ein Publikum richten, das ihm stets unerschütterlich die Treue hält.

Auch Godards neuer Film The Image Book, der bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere feierte und umgehend mit einem neuen Sonderpreis ausgezeichnet wurde, reiht sich konsequent in das spezielle Spätwerk des Regisseurs ein. In seiner ganzen Pracht erlebbar soll der Film grundsätzlich nur in Kinosälen mit 7.1 Dolby Surround Sound sein. Nicht etwa, weil der Franzose mit seinen 87 Jahren plötzlich ohrenbetäubende Tonkulissen im Stil eines Michael Bay  (Bad Boys II) für sich entdeckt hat, dessen Schaffen es nebenbei bemerkt ebenfalls in The Image Book geschafft hat. Vielmehr stellen die Lautsprecher für Godard bereits ein zentrales Element für seine neueste Manipulation des Kinos dar. Stellte er in Goodbye To Language zuletzt noch das gegenwärtig populäre 3D-Format auf den Kopf, ist es in diesem Werk jetzt primär die auditive Ebene, für die der Regisseur die acht Spuren des 7.1-Tons nicht wie für gewöhnlich übereinander legte, sondern bewusst voneinander isolierte.

Der Effekt ist gleichermaßen irritierend wie aufdringlich, wenn sich Stimmen und Klänge einsam aus verschiedensten Winkeln des Kinosaals ihren Weg zum Zuschauer bahnen, während Godard auf visueller Ebene zusätzlich Amok zu laufen scheint. Mit Schauspielern will der Regisseur schon seit Jahren ganz offensichtlich nicht mehr zusammenarbeiten und auch neu gedrehtes Material, für das er sich nur noch mit einem kleinen Team von 3-4 Leuten aus seinem Anwesen in der Schweiz begibt, findet sich nur noch in vereinzelten, kurzen Einschüben in The Image Book wieder. Der Großteil des Films besteht aus Archivmaterial und bekannten Filmszenen, die der Franzose wiederum für eigene Thesen zum derzeitigen, sehr pessimistisch geschilderten Zustand der Menschheit verknüpft. Kohärenz im eigentlich Sinne stellt sich in Godards Werk bewusst zu keinem Zeitpunkt ein, vielmehr gleicht die aggressiv verzerrte Collage aus Bildfetzen, Klängen und Off-Kommentaren in unterschiedlichsten Sprachen einem Bewusstseinsstrom, der The Image Book zugleich eigensinnig und höchst angreifbar gestaltet.

In fünf Kapitel gliedert sich Godards Werk, die mitunter Titel wie Remakes tragen. In diesen entwirft der Regisseur seine ganz eigene Vorstellung einer Wiederkehr bekannter Klassiker wie Vertigo - Aus dem Reicht der Toten, Shanghai Express oder Freaks, um die Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis in eine deutlich verzerrten Position zu rücken und sie ihrem eigentlichen Kontext zu entreißen. Die Botschaften hinter all diesen Szenen, die oftmals ebenso abrupt abbrechen wie sie begonnen haben, von unterschiedlichsten, teilweise absichtlich nicht untertitelten Sprachfetzen begleitet werden und schließlich fiktiv inszenierte Passagen aus dem Skandalfilm Die 120 Tage von Sodom realen Folteraufnahmen aus ISIS-Videos oder von schrecklichen Anschlägen gegenüberstellen, bleiben hingegen durchwegs diffus. Godard zerrt derart widerspenstig und trotzig an den Ecken seines filmischen Fundaments, dass The Image Book lediglich für ein intellektuell-interpretierfreudiges Publikum den passenden Nährboden darstellen dürfte. Stünde der Name des Regisseurs nicht hinter diesem Werk, würden sich die meisten Zuschauer hingegen zurecht wundern, welcher montage- sowie zitierwürdige Filmstudent oder zur Demenz neigende Urgroßvater hier soeben ein neues Schnittprogramm für sich entdeckt hat.

Fazit

Das Spätwerk von Jean Luc-Godard dürfte maximal nur noch unbelehrbare Hardcore-Jünger der französischen Regie-Legende ansprechen, die "The Image Book" als radikale Dekonstruktion des Kinos sowie pessimistisch-besorgte Betrachtungsweise der Missstände in der Welt durch die Linse eines zu philosophischen Diskursen neigenden Regisseurs interpretieren dürfen. Ohne den Namen Godard bleibt hingegen kaum mehr als ein diffus zusammengestückelter Essay-Film, der wirkt, als habe der zur Demenz neigende Urgroßvater oder ein montage- sowie zitierwütige Filmstudent eines dieser modernen Schnittprogramme für sich entdeckt und sich einmal so richtig austoben wollen.

Kritik: Patrick Reinbott

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