Inhalt
Der ehemalige CIA-Agent Court Gentry (Ryan Gosling) alias Sierra Six ist „The Gray Man“. Gentry wurde vom ehemaligen Leiter Donald Fitzroy (Billy Bob Thornton) in einem Gefängnis entdeckt und für die CIA rekrutiert und war einst ein höchst erfolgreicher, gut ausgebildeter und vom Geheimdienst sanktionierter Söldner. Doch jetzt hat sich die Lage geändert und Six gerät ins Visier von Lloyd Hansen (Chris Evans), einem ehemaligen CIA-Agenten, der vor nichts haltmacht, um ihn um die Ecke zu bringen. Agentin Dani Miranda (Ana de Armas) hält ihm den Rücken frei, was er auch dringend benötigt.
Kritik
Es ist nicht ganz fair dem Streaminganbieter Netflix mangelnde Qualität bei ihren Eigenproduktionen vorzuwerfen – auch wenn es um Filme geht. Seien es Highlights wie Alfonso Cuaróns Roma, Martin Scorseses The Irishman oder Charlie Kaufmans I’m Thinking of Ending Things – eine ganze Reihe von Netflixfilmen trägt die individuelle Handschrift ihrer Filmschaffenden stolz auf der Streamingbrust. Eine Zeit lang hieß es sogar: Netflix lässt seine Filmschaffenden machen, was sie wollen – so lange sie mit ihren Namen zum Streaminganbieter wechseln.
Leider scheint genau dieser letzte Aspekt in der jüngeren Vergangenheit etwas abhandengekommen zu sein – vor allem bei den finanziellen Großproduktionen. Gurken wie Red Notice oder The Adam Project verschlangen zwar viel Geld, ließen eine eigene Handschrift aber total vermissen. Im Fokus schien plötzlich nicht mehr kreative Freiheit zu stehen, sondern es allen Zuschauerinnen und Zuschauern irgendwie recht zu machen. Der Algorithmus dankt, das Publikum reagiert mit müdem Schulterzucken.
So kneift man als Film-Enthusiast schnell Augen und Ohren zusammen, wenn es wieder heißt: Netflix hat 200 Millionen Dollar in eine Film gepumpt und große Stars für das nächste Megaprojekt engagiert. Glücklicherweise werden diese Befürchtungen beim Russo Brothers-Actioner The Gray Man immerhin ansatzweise entschärft. Trotz 200 Millionen Dollar Budget sowie Mega-Stars Ryan Gosling (Barbie), Chris Evans (Lightyear) und Billy Bob Thornton (Fargo) trägt The Gray Man tatsächlich so etwas wie eine eigene Handschrift – und diese sogar größtenteils überzeugend.
Denn hier steckt merklich jede Menge Leidenschaft drinnen: Nur selten evoziert die Literaturverfilmung das plastikhafte Gummibärchengefühl eines Red Notice – Stil, Kameraarbeit, Atmosphäre folgen allesamt einer merkbaren Vision (und das ist aktuell tatsächlich schon ein Verdienst). Daneben ist The Gray Man (mit einigen Ausnahmen) angenehm direkt und fettfrei erzählt. Sentimentalitäten, Figurenzeichnung – allgemein Emotionen – nehmen hier einen deutlichen Schritt zurück. Und das ist gut so: Ohne diese – salopp gesagt – substanzvollen Ebenen, die, nach allem was man hier sieht, sowieso nicht funktioniert hätten, darf sich The Gray Man in seinen 122 Minuten vor allem auf eines konzentrieren: Die Action.
Und die macht im Großen und Ganzen auch eine Menge Spaß. Auf den einen oder anderen Schnitt hätten die Russos zwar verzichten können und auch der hohe Anteil an CGI nimmt dem Gezeiten immer wieder die Härte (bei einer Fallschirmsequenz fühlt man sich an gute(?) alte Uncharted 2-Zeiten zurückversetzt), The Gray Man bietet in seinen 122 Minuten Laufzeit aber eine abwechslungsreiche Riege aus umfangreichen Schussgefechten, Prügeleien und Verfolgungsjagden, in denen merkbar jede Menge Arbeit steckt. Dabei orientierten sich die Russos nicht gerade heimlich an den Jason Bourne-Filmen (ein bisschen Fast and Furious wird auch in den Mix geworfen), immerhin wird aber deutlich, dass das Mega-Budget nicht nur in die Geldbeutel der Mega-Stars geflossen ist.
Apropos Mega-Stars: Ryan Gosling darf seinen stoischen Actionheld mit dem Herz aus Gold gewohnt charismatisch geben, Billy Bob Thornton, Ana de Armas (James Bond 007 - Keine Zeit zu Sterben) und Alfre Woodard (Annabelle) erfüllen allesamt ihren Zweck und gleichen fehlende Figurenmotivationen mit jeder Menge Präsenz aus. Nur Chris Evans' Bösewicht Lloyd Hansen enttäuscht. Und das ist doppelt schade, darf Evans hier nämlich mit viel Spielfreude gegen sein typisches Castingimage agieren. Nur leider hat Lloyd Hansen in The Gray Man deutlich zu wenig zu tun, sitzt meistens irgendwo mit überschlagenen Beinen herum und vermittelt vor allem ein Gefühl: Hier wäre deutlich mehr drinnen gewesen. Aber das gehört bei Netflix-Produktionen der jüngeren Geschichte ja irgendwie zum guten Ton.
Fazit
In der Riege jüngerer Netflix-Big-Budget-Produktionen reiht sich „The Gray Man“ in den oberen Regalen ein – neben Gurken wie „Red Notice“ oder „The Adam Project“ ist das aber leider nur ein leises Lob. Immerhin trägt „The Gray Man“ stilistisch eine eigene Handschrift, darf sich bei der Action immer wieder ordentlich austoben und präsentiert mit Ryan Gosling einen Hauptdarsteller, dem das stoische Actionheld-Vehikel gewohnt gut steht. Abseits davon – seien es Emotionen, Figuren oder Plot – ist aber auch „The Gray Man“ schnell wieder aus den Tiefen der Erinnerung entflohen.
Autor: Thomas Söcker