Das Jahr 1986. Ein Jahr, in dem man Remakes noch mit stehenden Ovationen lobpreisen konnten. Nein, ganz so kulturpessimistisch wollen wir an dieser Stelle dann doch nicht durchstarten, und abseits jener müßigen Diskussion über Sinn und Unsinn von Neuverfilmungen, gibt es ja immer noch Werke jener Kategorie, die absolut zu überzeugen wissen. Ob es jedoch jemals eine bessere Neufassung als Die Fliege von David Cronenberg gegeben hat, der sich dem mit Vincent Price besetzten Original von 1958 annahm, ist eine Frage, die sich nicht so leicht beantworten lassen kann. Zu visionär nämlich hat der kanadische Meisterregisseur hier noch einmal unterstrichen, dass er für ein Kino einsteht, in dem nichts unmöglich ist. Oder besser gesagt: In dem nichts unmöglich sein sollte. Vor allem wenn es darum geht, dem Gedankenspielraum keine Grenzen zu setzen.
Seinen Kultstatus konnte Die Fliege selbstverständlich durch seine noch heute ekelerregenden Analogeffekte gewinnen, die den Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum, Jurrasic Park) Schritt für Schritt zur schleimigen Menschfliege verwandeln – und den Zuschauer aktiv am erschreckenden Zersetzungsprozess teilhaben lassen. Wenig überraschend und nur folgerichtig ist es daher auch, dass Chris Walas den Oscar für das Beste Make-Up entgegennehmen durfte. Die ganze Welt jedenfalls sprach über die unglaublichen Bilder, die dieser Film aufbereitet, was sich dementsprechend an den Kinokassen rentierte (40 Millionen US-Dollar bei einem Budget von 15 Millionen US-Dollar können sich sehen lassen). Allerdings hat David Cronenberg hier keinen reinrassigen Genre-Film inszeniert, in dem er seine Leidenschaft für den Body-Horror ausleben konnte, sondern eine dreidimensionale Tragödie, in dem Cronenberg sein „New Flesh“-Themenspektrum endgültig auf den Höhepunkt führt.
Das bedeutet, dass Die Fliege sich nicht nur mit der Deformation des Körpers beschäftigt, sondern auch mit den psychologischen und soziologischen Konsequenzen für alle Beteiligten. Seth Brundle, ein menschenscheues Genie, welches bereits mit 20 Jahren für den Nobelpreis nominiert war, hat zwei Teleboxen erfunden. Sein Problem vorerst: Er kann nur Gegenstände, keine lebenden Substanzen teleportieren, weil der Computer organische Materie neu denkt, er gibt seine eigene Interpretation davon ab, anstatt diese schlicht und ergreifend auf Befehl zu reproduzieren. Und in gewisser Weiße kann man diesen Umstand auch auf gesamten Film übertragen, der einen Einblick dahin gibt, wie sich ein Organismus einerseits zerlegen lässt, aber auch, wie er aufs Neue zusammengesetzt werden kann. Nach einigen Versuchen, bei denen auch das Innere eines Pavians nach außen gekehrt wurde, findet Brundle die Lösung auf seine Schwierigkeiten – und teleportiert sich selbst.
Dass es dabei auf molekular-genetischer Ebene zu einer Vernetzung von Mensch und Hausfliege kommt, offenbart Die Fliege zu Anfang nicht einmal als Katastrophe. Wir sehen stattdessen, wie Brundle seinem gesteigerten Sexualtrieb erliegt, ganz zum Leidwesen seiner frischen Romanze mit der Reporterin Veronica (Geena Davis, Beetlejuice). Wir sehen, wie seine Kräfte wachsen, was ihn ohne Mühe dazu verleitet, einem anderen Mann beim Armdrücken einen offenen Bruch zuzufügen. Wer sehen ihn dabei, wie er energiegeladen durch den Tag startet, Schlaf wird kaum noch benötigt. David Cronenberg betrachtet das „Fehlschlagen“ des Experimentes hier noch aus verschiedenen Blickwinkel, eine persönliche Wertung bleibt aus. Ohnehin besaßen die Filme Cronenbergs in jenen Tagen immer einen wissenschaftlichen Grundstock, was der Handhabung seiner wiederkehrenden Themen und Motive eine gewisse Neutralität in das Fundament einmeißelt.
Die äußere Veränderung allerdings bleibt ein markerschütternder Alptraum. Nicht nur aus dem Grund, weil Brundle Körperteile verliert oder ihm milchige Säfte entweichen. David Cronenberg geht hier auch über den technologischen Kontrollverlust hinaus und findet das Zentrum seiner Erzählung in einer intensiven, nachhaltigen und unfassbar brillant inszenierten Liebesgeschichte. Wenn Brudle schließlich nur noch als Monster durch seine Wohnung schreitet, regiert nicht nur Angst und Abscheu das Szenario. Veronica und Brundle sehen ihre Zukunft in Scherben: Der Blick in die schwarzen Augen des widernatürlichen Wesens offeriert die Frage, wie viel Menschlichkeit in Brundle in Wahrheit noch steckt. Und das Ganze, ohne sich in Melodramatik zu wälzen. Die zwischenmenschliche Wärme und Bedrückung dieses Augenblicks wurde fein säuberlich aufgebaut, der Akt der Erlösung ist hier ein Liebesbeweis. Der Kloß im Hals des Zuschauers wird noch einige Stunden danach spürbar sein.