In den Straßen fallen Schüsse, explodieren Granaten. Im Haus versuchen vier Geschwister gemeinsam mit ihrer Mutter, den Katzen und der Schildkröte, Frieden zu finden und einen normalen Alltag zu organisieren. Seit fünf Jahren tobt im ukrainischen Donbas der Krieg.
Eine tragische Aura müsse ihr Bericht haben, sagt die älteste Tochter Mira umstehenden Verwandten, als sie sich zu Beginn von Iryna Tsilyks naturalistischer Doku vor die Kamera setzt. Aber förmlichen Ernst verdrängt unvermeidlich Lachen. Die Szene illustriert exemplarisch, wie gemeinschaftliche Fröhlichkeit über trostlose Umstände triumphiert. Was anfangs aufmunternd wirkt, weckt bald zwiespältige Gefühle. Angst, Trauer und Sorge sind buchstäblich ausgesperrt aus der angeschlagenen Wohnung im ukrainischen Kriegsgebiet. Der Frontbericht wird zum einseitigen Monument zweifelhaften Durchhaltewillens.
Letzter ruht vorrangig in der alleinstehenden Mutter Anna, der eigentlichen Hauptperson eines weiteren Berlinale Generation Beitrags, der nur scheinbar den Blickwinkel kindlicher Charaktere einnimmt. Stattdessen entwickelt sich das unkritische Familienporträt zur indirekten Apologie, wenn nicht gar Rechtfertigung bedenklichen Erwachsenenverhaltens. Annas Entschluss zum Verbleib in ihrem Heimatort, der ihre Kinder psychologischer Belastung und beständiger Gefahr aussetzt, wird nie hinterfragt. Im Gegenteil manipuliert Tsilyk die filmische Perspektive zugunsten einer Verharmlosung des Schreckens, der nie das Familienidyll beeinträchtigt.
Kugeldurchlöcherte Gebäude dienen Mira als coole Photokulisse. Schwer bewaffnete Soldaten spielen bereitwillig Statisten in einem der Amateurfilme, die kollektives Hobby des filmbegeisterten Klans sind. Kein Thema sind dafür die Abwesenheit erwachsener männlicher Angehöriger, Versorgungsmangel, Zukunftsperspektiven oder Tod. Dass Krieg mehr bedeutet als Ruhestörung und Stromausfälle erschließt sich aus den belanglosen Episoden nicht. Die von Abbildungen der Familienroutine absorbierten Hobbyfilmchen werden ungewollt Sinnbild subjektiver Trivialisierung. Das Schlimmste an Bombenhagel ist hier der Schutt in Nachbars Garten.
Fazit
Dokumentarfilmerin Iryna Tsilyk ignoriert das metatextuelle Potenzial ihres Materials. Das entwickelt sich vom Logbuch eines Amateurfilmprojekts direkt hinter der ukrainischen Front zur undifferenzierten Hommage an eine dort verbliebene Familie, deren trivialer Alltag den Kriegshandlungen trotzt. Verwandtschaftlicher Eintracht und Gewohnheiten bleiben unberührt von der täglichen Gefahr, die einem avisierten Kinderpublikum fast aufregend scheinen dürfte. Während militärische Konflikte sich auf entfernte Hintergrundgeräusche und Armeepräsenz beschränken, fehlen familiäre völlig. Banal ist das letzte, was ein Kriegsreport sein sollte.
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