Eigentlich war Scott Derrickson als Regisseur für Doctor Strange in the Multiverse of Madness vorgesehen, gab den Posten dann aber aufgrund kreativer Differenzen mit dem Studio wieder auf. Ein neues Projekt war mit The Black Phone - Sprich nicht mit Fremden jedoch schnell wieder gefunden, welches ihn zu seinen Horrorwurzeln zurückführte. Denn mit Filmen wie Der Exorzismus von Emily Rose und Sinister hat er sich im Genre bereits seine Sporen verdient, sodass man durchaus darauf gespannt sein darf, was er sich als Nächstes ausdenkt. Und siehe da, der Mann enttäuscht auch diesmal nicht.
Basierend auf einer 2004 erschienenen Kurzgeschichte aus dem New-York-Times-Bestseller 20th Century Ghosts von Joe Hill, dem Sohn von Stephen King, geht es in The Black Phone um einen unheimlichen Kindesentführer (The Grabber genannt), der in den 70er-Jahren eine amerikanische Kleinstadt in Angst und Schrecken versetzt. Schon von Beginn an wird eine bedrohliche Stimmung aufgebaut, wenn nach und nach ein weiteres Kind verschwindet. Dabei hält sich der Film zunächst bedeckt, mehr als einen schwarzen Van, der seinen Opfern im passenden Moment auflauert, bekommt man vorerst nicht zu sehen. Es bleibt also mytseriös und verstörend, sowohl für die Charaktere der Geschichte als auch für den Zuschauer selbst.
Das Geschehen verfolgt man hauptsächlich aus der Perspektive einer Gruppe von Kindern, die nicht nur aufgrund der gefährlichen Situation in Sorge sind, sondern sowieso schon im sozialen Umfeld mit Problemen zu kämpfen haben. Mobbing, Vernachlässigung und Missbrauch im eigenen Zuhause werden dabei innerhalb der Coming-of-Age-Story thematisch angeschnitten, was ebenfalls für eine unangenehme Atmosphäre sorgt und zum Teil auch mit gewisser Härte veranschaulicht wird. Dezent eingestreuter schwarzer Humor lockert die Stimmung zwar gelegentlich auf, dennoch bleibt es überwiegend ernst.
The Black Phone weist dabei zahlreiche Parallelen zur Stephen King Story Es auf: Auch hier hat man es mit einem Retro-Setting mit gewissem Nostalgie-Faktor zu tun, bei dem sich Kinder gegen das Böse vereinen. Dieses tritt in beiden Geschichten in Form eines maskierten Sadisten auf und macht ausschließlich auf sie Jagd. Sogar die Luftballons, das Markenzeichen von Pennywise, hat The Grabber mit im Gepäck. Und in beiden Erzählungen gibt es übernatürliche Elemente, auch wenn sie in The Black Phone nicht ganz so abgedreht ausfallen wie in Es und in anderer Form auftreten. Autor Hill wird sich sicherlich einiges bei seinem Vater abgeguckt haben. Besonders originell mag das nicht sein, wird aber dank der weitestgehend guten Inszenierung Derricksons effektiv rübergebracht.
Nach einem etwas gemächlichen Start baut The Black Phone nämlich zunehmend an Spannung auf und nimmt in seiner zweiten Hälfte, wenn der Hauptcharakter der Geschichte selbst zum Opfer wird, richtig Fahrt auf. Nun wechselt das Geschehen in den Keller des Grabbers und man bekommt endlich eine Ahnung dafür, was mit den entführten Kindern geschieht. In die Karten schauen lässt sich der Film dabei zwar nicht in vollem Maße, da das Motiv des Killers bis zum Ende nicht völlig klar ist und die Erlebnisse der anderen Kinder nur angedeutet werden, doch das Grauen ist auch so deutlich spürbar und weiß gekonnt zu entsetzen.
Auch wenn man sein Gesicht nie komplett sieht, so sorgt Ethan Hawke (Training Day) unter seiner beängstigenden Maske (entworfen von Tom Savini), die sich von Szene zu Szene auch immer wieder auf geniale Art ändert, für echtes Schaudern. The Black Phone wird in seiner zweiten Hälfte zum fesselnden Survival-Thriller, bei dem ein Kind aus den Fängen eines kranken Monsters zu entkommen versucht. Derricksons weiß, wie er den Nervenkitzel gekonnt in die Höhe treibt, auch ohne allzu oft auf bloße Jump-Scares zu setzen. Und dank des titelgebenden schwarzen Telefons kommt noch eine interessante Komponente hinzu: Über das eigentlich kaputte Telefon nehmen die verstorbenen Kinder, die dadurch eine Stimme erhalten und auch ihr eigenes tragisches Schicksal noch mal verdeutlichen, nämlich Kontakt zum eingesperrten Jungen auf und versuchen ihm auf unterschiedliche Weise zur Flucht zu verhelfen. Hätte schnell ziemlich kitschig ausarten können, wird jedoch ordentlich in die Handlung eingebaut und verleiht dem Ganzen eine emotionale Note. Dass zum Ende nicht jeder Strang der Geschichte gekonnt aufgeht bzw. etwas ungeschickt eingewoben wird (gemeint ist hier der von Max (James Ransone)) sei dem Film an dieser Stelle verziehen.