Die ersten Minuten dienen der Orientierungs- und Besinnungsphase. Innerhalb der von Danny Elfman entsprechend liebreizend begleiteten Titelsequenz wird mittels herrlicher Zeichnungen noch einmal der bisherige Werdegang rekapituliert: Aus Außenseitern wurden Helden, aus Vorbildern fratzenhafte Dämonen und aus großer Kraft folgt große Verantwortung. Sam Raimi (Schneller als der Tod) hat dem arachnophilen Klettermax mit Spider-Man jedenfalls einen beachtlichen Leinwandauftritt geschenkt und sich nicht nur darauf beschränkt, die zeitgemäßen Digitaleffekte selbstzweckhaft auszustellen, tatsächlich ging Spider-Man ans Herz, konnte ein ehrliches Interesse an den Charakteren erzeugen und den Zuschauer anheizen, der Fortsetzung entgegenzufiebern: Spider-Man hat es also mit Bravour gemeistert, die Dunkelheit des Saales zu überstehen und auch im Freien, in unserer Realität, Eindruck zu schinden. Und genau an diesen Anflug von Euphorie musste Sam Raimi anknüpfen, damit sich nicht nur der titelgebende Akteur weiterentwickeln kann, sondern auch der Zuschauer dem existentiellen Wirrnis des Peter Park treu bleibt.
Euphorie, das bedeutet im Falle von Spider-Man 2, den unbedingten Impetus aufzuweisen, dieser prestigeträchtigen Figur des weitläufigen Marvel-Universums absolut gerecht zu werden. Und gerecht heißt wiederum, die Souveränität, mit der sich Spider-Man in das allgemeine Bewusstsein gebohrt hat, aufzulockern, ja, es bisweilen sogar bröckeln zu lassen. Peter Parker (Tobey Maguire, The Great Gatsby) steht kurz vor dem Kollaps: In den Vorträgen seines Physikstudiums glänzt der hochbegabte Naturwissenschaftsenthusiast durch Abwesenheit, sein Job als Pizzabote scheitert nicht unbedingt nur am dichten Verkehr, sondern auch daran, dass Peter nebenbei noch tatkräftig der Polizei unter die Arme greift, wenn er sein blau-rotes Kostüm übergestreift hat und sich energetisch oberhalb der Köpfe der Menschen durch den Großstadtdschungel schwingt. Nachvollziehbar, dass es anstrengend ist, wenn man gleich zwei Leben zu bewerkstelligen hat – selbstredend mit nur einem Paar Händen und Füßen. In diese angespannte Situation gesellen sich auch noch rasende Hormone sowie ein an seiner eigenen Hybris gescheiterter Wissenschaftler. Der Kopf qualmt.
Spider-Man 2 unterliegt all diesen Aspekten, diesem Wust an Einwirkung, jedoch nicht, sondern findet eine narrative Balance, die jedem Gesichtspunkt die angemessene Aufmerksamkeit zuspricht. Selbstverständlich geht es primär um Peter Park, der bemerkt, dass die Spannungsherde, die sich nach und nach um seine Person errichtet haben, ihn blockieren. Spider-Mans Kräfte schwinden, immer wieder muss er auf dem Asphalt aufschlagen, bis ihm sein Hausarzt unterbreitet: Was, wenn Peter nicht Spider-Man sein sollte? Genau diesen Komplex hat zuletzt auch Zack Snyder in „Batman v Superman: Dawn of Justice“ behandelt – Wer sagt, dass man ein aufopferungsvoller Superhelden sein muss, nur weil man theoretisch die Fähigkeiten dazu besitzt? Das Drehbuch verschafft sich den erzählerischen Raum, um Peter Parker ausgiebig zu porträtieren und seinen Weg schlüssig nachzuempfinden, die Triebfeder seines Kraftverlustes aufzuspüren und zu behandeln. In Spider-Man 2 ist es indes Tante Mays (Rosemary Harris) Aufgabe, Peter durch einen warmherzig-welterfahrenen Dialog in Richtung Einkehr zu dirigieren.
Harry (James Franco, The Interview), der mehr und mehr zum arrogante Yuppie mutiert, und seine Rachegelüste bleiben da schon mal etwas auf der Strecke und taugen vielmehr als verheißungsvolle Ankündigung für den emotionalen Impact des dritten Teils, wenn der Sohn in die grünen Fußstapfen des Vaters tritt und seinem besten Freund die Stirn bietet. Gleiches gilt auch für Dr. Otto „Doc Ock“ Octavius (Alfred Molina, Prince of Persia), der niemals am Klischee des „verrückten Professors“ rührt, sondern – nicht zuletzt durch Molinas nuancierte Performance – eine geschundene Seele bleibt, der der Lebenstraum sowie die große Liebe entrissen wurde. Benötigt hätte es seine Figur im Prinzip dennoch nicht, sein transhumanistisches (Bedrohungs-)Gebaren aber sorgt für Intensität. Über allem thront Peters Selbstfindung und Sam Raimis Diskurs über Identität, Standhaftigkeit und Verantwortung ist so zurückgenommen wie furios. Ein Film voller Leidenschaft, was schon eine verdammt große Ehre für ein Werk wie Spider-Man 2 bedeutet, ist er doch auch unverkennbar Scharnier, welches zwei Segmente zusammenhalten soll.