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Schändung ist nach "Erbarmen" die zweite Verfilmung eines Thriller-Bestsellers von Jussi Adler-Olsen um das Sonderdezernat Q der Kopenhagener Polizei. Carl Mørck rollt darin mit seinem Partner Assad den Fall eines 20 Jahre alten Doppelmordes wieder auf.
Kritik
Krimis scheinen heutzutage dem Horrorgenre gar nicht mehr so unähnlich zu sein. Und das nicht nur in filmischer Hinsicht. Die Geschichten folgen alle einem bestimmten Muster, sind im Durchschnitt nicht schwer zu schreiben und verlangen kein Übermaß an Kreativität. Die Fanbase ist trotzdem riesig und der Markt für Krimis so arg profitabel. Verlage stimmen einer Veröffentlichung leichter zu, da sich meist aus wenig Aufwand viel Geld schlagen lässt. Eine Verfilmung dieser Massenware scheint da nur die logische Konsequenz zu sein, immerhin ist es ein ähnlicher Vermarktungsprozess, aus dem sich dann aber weiterer Profit schlagen lässt. Der Krimivielleser nennt dies dann Abendunterhaltung, während sich über gewaltsame Videospiele und Internetverdummung aufgeregt wird, die skandinavische Gute-Nacht-Geschichte aber von Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Erniedrigung und menschlichem Leid nur so strotzt. Stören tut das aber scheinbar niemanden. “Schändung”, die zweite Verfilmung der Krimireihe des dänischen Star-Schriftstellers Jussi Adler-Olsen, basiert nun auch auf einem dieser unzähligen Fließbandromane und erfüllt eigentlich jeden negativen Aspekt, der hier an den Pranger gestellt wurde. Es scheint daher schon fast wie ein ironischer Kommentar des Regisseurs, dass der Film dennoch größtenteils gelungen ist und das abgeneigte Gerede des Kritikers zumindest in filmischer Hinsicht im Keim ersticken lässt.
Denn obwohl die Geschichte absolut krimi-klischeebeladen daherkommt, die Figuren Abziehbilder der typischen Krimikomissare plus Sidekick sind und den Bösewichten nur noch das grausame Lachen fehlt, kann “Schändung” zumindest inszenatorisch und visuell absolut überzeugen. Es ist durchgehend spürbar, dass hinter dem Film ein gelernter Mann steht. Was man schon am ersten Teil “Erbarmen” merken konnte (der übrigens Anfang dieses Jahres in die Kinos kam, was die finanzielle Verwurstung und den geringen Aufwand der Produktion nur noch einmal leidsam unterstreicht), stellt sich auch an “Schändung” wieder dar: Eine eindringliche, düstere Atmosphäre, bei der sich Regisseur Mikkel Norgaard offensichtlich beim großen Skandinavienthriller-Vorbild “Verblendung”, sowie David Finchers Krimi-Meisterwerk “Sieben” bedient. Doch das überraschende: Norgaard verfällt nie zu sehr in einen Kopierwahn, das Gezeigte wirkt immer eigen und erinnert nur in positiver Hinsicht an die tollen Vorbilder.
Zusammenhängend damit machen auch die Schauspieler einen ausgesprochen guten Job und geben ihren oberflächlichen Figuren genügend Präsenz, um den Zuschauer auf ihre Seite zu ziehen. EinNikolaj Lie Kaas wirkt auf den Zuschauer gar wie ein dänischer Max Payne (mit Gewissheit cooler als Mark Wahlberg). Sein kettenrauchender, selbstdestruktiver und nihilistischer Carl Mork macht durchgehend eine gute Figur. Ebenso wie die Begleitfiguren, von denen am ehesten noch Fares Fares als Partner Assad und Sarah-Sofie Boussnina als junge Kimmie zu scheinen wissen. Die Spannungskurve bleibt so erstaunlich lange relativ weit oben, das Interesse des Zuschauers ist geweckt, die Bildsprache ist außergewöhnlich kompromisslos und brutal. 2 Stunden Laufzeit hätten dennoch nicht sein müssen. Das letzte Drittel zieht sich merklich und jeder aufmerksame oder überhaupt film- bzw. krimibewandte Zuschauer wird sich das Schicksal der Figuren mit der Zeit ohne Probleme denken können. Es liegt auch hier an den wirklich überzeugenden schauspielerischen und inszenatorischen Darstellungen, dass man Protagonist Carl gerne bis zum Ende begleitet.
Und doch: Trotz dieser überdurchschnittlichen Krimiüberraschung bleibt der Aspekt der Massenware immer spürbar. Sei es bei dem fantasielosen Drehbuch (das scheinbar andere Wege als der Roman nimmt, falls man Wikipedia glauben darf) oder den unausgereiften Charakteren. “Schändung” zeichnet sich also nicht durch inhaltliche, sondern inszenatorische Stärken aus, was den Umstand inwieweit sich dieser Krimi über andere Vertreter des Genres abheben kann, erklärt. Dementsprechend würde der Film super ins Abendprogramm eines ARD-Krimisonntags passen (mal abgesehen vom krass hohen Gewaltgrad) und viele Zuschauer vermutlich absolut positiv überraschen. Eine Würdigung, die sich der Film ohne Frage verdient.
Den Gedanken an all die großartigen Filme, die dieses Jahr keinen Kinorelease geschafft haben, mag der Film dennoch nicht verdrängen. Daher: Lieber sein Geld für den großartigen, atmosphärischen und kompromisslosen “The Rover” auf Blu-ray ausgeben. Das ist nämlich einer der besten Filme des Jahres und hat dennoch keinen Kinorelease geschafft. “Schändung” sieht man sich dann in vermutlich einem Jahr im Fernsehen an und verlebt einen spannenden und atmosphärisch dichten Abend. Und das verdient sich der Film auch durch und durch. Aber eben nicht mehr.
Fazit
“Schändung” kann sich durch visuelle Stärken, eine dichte und düstere Atmosphäre, sowie ein überzeugendes Darstellerduo gelungen über den überschwemmend hohen Krimimassendurchschnitt abheben, leidet aber erwartungsgemäß an inhaltlichen, narrativen und klischeebedingten Problemen. Die Sichtung für einen spannenden Fernsehabend hat sich der Film dennoch durch und durch verdient. Das Kinogeld sollte man aber lieber einem Film spenden, der den Kinorelease dieses Jahr, trotz flimischer Brillianz, nicht erreichte. Wie David Michôds tollem Endzeitthriller “The Rover”.
Autor: Thomas Söcker