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Der Künstler Ichiro Aoye und die Sängerin Miyako Saijo werden von Journalisten erwischt, wie sie auf einem Balkon stehen. SKANDAL! Ein paar Fotos und eine erlogene Geschichte später finden sich die beiden inmitten eines Sturms aus Anschuldigungen seitens der Medien und alsbald auch einem Gerichtsprozess, den sie selbst gegen die Medien führen.
Kritik
Der japanische Regisseur Akira Kurosawa gilt zwar seit seinem Welterfolg mit Rashomon, der im selben Jahr dieser Film veröffentlicht wurde, als augenscheinlich „westlicher“ Regisseur, in dem Sinne, dass seine Werke mit westlichen Sehgewohnheiten und kulturellen Prägungen zu decodieren sind. Dennoch scheint es ein wenig bösartig, diese Bezeichnung als abwertend zu betrachten, sind seine Filme doch auch von japanischen Werten durchsetzt. Mal mehr, mal weniger. Skandal richtet sich dabei offensichtlich an ein kulturübergreifendes Problem der industriellen Welt. Viele Filme haben sich mit der steigenden Gier von Boulevardjournalismus beschäftigt; auch Hollywood hat das getan und dabei wichtige Werke direkt nach Kurosawas Film produzieren lassen. Billy Wilders Reporter des Satans zum Beispiel, der mit einem herrlich plakativen Titel daherkommt und Kirk Douglas wirklich an die Grenze zwischen Leben und Tod bringt.
Kurosawa geht mit seinem Film nicht so weit, zumindest nicht augenscheinlich. Dass der Ernst der Lage nicht minder groß ist, das vermittelt der japanische meishu anhand der moralischen Engpässe und Verzweiflung seiner Figuren, die sich immer stärker in einem Netz aus Gier, Korruption, Schuld und Unethik verirren. Wie einflussreich ein solcher, vergleichsweise kleiner Film von Kurosawa sein kann, wird bereits in der Eingangsszene überraschend deutlich. Mit einem dröhnenden Motorrad - Lawrence von Arabien lässt grüßen - fährt der Künstler Ichiro Aoye (gespielt von Kurosawas Stammschauspieler Toshirô Mifune, Die sieben Samurai) in die idyllischen Berge, um die Natur zu zeichnen und die besonnene Ruhe zu genießen. Ein ähnliches Ziel hat die Sängerin Miyako Saijo (Shirley Yamaguchi, Tokio-Story), die zwar nicht malen, aber ebenfalls dem ganzen Trubel um ihre Person entkommen will.
Künstler und Sängerin unterhalten sich, sind sich sofort sympathisch, sie folgt seinem Angebot und lässt sich von ihm mit zu einem Hotel in der Ortschaft zu bringen. Dass zwei Berühmtheiten miteinander Zeit verbringen ist für die Boulevardjournalisten selbstverständlich ein gefundenes Fressen; alsbald werden uneindeutige - für die Medien aber eindeutige - Fotos geschossen und eine Geschichte ersponnen. Kurosawa lässt uns Zeuge der Entwicklung eines Fotos werden. Langsam wird die Abbildung deutlich. Und ebenso wie sich eine Vorstellung des Motivs im Kopfe des Zuschauers kristallisiert, fasst Kurosawa das komplizierte Konzept der Wahrheit in eine einzige Einstellung. Fotos, das sind die Wahrheit. So entstehen Vorurteil, Anklage, Anhörung und Verurteilung in nur wenigen Sekunden. Doch indem der Film beweist, dass Bilder eben doch täuschen können, dass der allgemeine Hintergrund viel mehr den Inhalt eines Frames bestimmt, als das gezeigte Motiv, lädt er zu einem anspruchsvollen Diskurs mit sich selbst ein. Kurosawa seziert den menschlichen Drang, Personen zu Konzepten zu trimmen und Konzepte zu Wunschbildern werden zu lassen.
Die Logik der Journalisten ist dabei unfehlbar. Was passiert, wenn die Wahrheit rauskommt und die Zeitung als Lügenpresse diffamiert? Das wird nicht passieren. (Fotos, das sind die Wahrheit.) Was passiert, wenn Saijo und Aoye klagen? Dann steigert sich Auflage, Verkauf und Umsatz der Zeitung. Logik und Geschäftsmodell gehen Hand in Hand, für Moral ist dabei wenig Platz vorhanden. Die Zeitungen haben einen Machtbereich, der viel größer und feingliederiger ist als der der Judikative. Alsbald entfaltet sich eine Spirale aus Subjektivität (der Rashomon-Effekt, den Kurosawa im gleichen Jahr mit dem so genannten Film behandelte), Gier, Macht und allgemeiner Böswilligkeit. Und wenn der Gerichtsprozess beginnt, dann positionieren sich die vielen Kameras der Medien im Saal und bewegen sich synchron wie Balletttänzer im Takt mit den relevanten Personen. So wird aus dem Ernst des Lebens für die Angeklagten schnell ein künstlerisches Produkt für die Masse. Unberuhigend ist, wie wenig sich dahingehend tatsächlich geändert hat, wie zeitaktuell dieses Werk noch immer ist. Beruhigend ist, dass Kurosawa am Ende zeigt, dass jeder angebliche Skandal ebenso beständig ist, wie ein Laubblatt im Herbstwind.
Fazit
Dem Film Skandal von Akira Kurosawa wird heutzutage überraschend wenig Aufmerksamkeit beigemessen. Das ist schade, bringt es doch den Zuschauer um ein filmisch künstlerisches Werk, das von einer immensen emotionalen Reife zeugt. Eine Reife, die in Hollywoods Pendant-Filmen oft zu vermissen ist. Kurosawa mag hier kein gigantisches Epos auf die Beine gestellt haben, aber einen sehr greifbaren Film, der auch knapp 70 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt hat. Das wiederum ist eine Sache, mit der sich der Zuschauer dann beschäftigen muss. Und da ist dann wohl ein Begriff, der ansonsten inflationär gebraucht wird, einmal wirklich angebracht: Zeitlos.
Autor: Levin Günther