Inhalt
Susan (Eva Green), eine Epidemiologin, entdeckt einen auffälligen Patienten aus Glasgow, ein LKW-Fahrer der an plötzlichen, unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen leidet. Er wurde ruhig gestellt, aber verlor seinen kompletten Geruchssinn. Susan entdeckt elf weitere solche Fälle in Glasgow. In ganz England tauchen hunderte solcher Fälle auf und auch in anderen Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien oder Spanien werden solche Fälle bekannt – alle innerhalb von 24 Stunden! Überall auf der Welt beginnen Menschen an merkwürdigen Symptomen zu leiden, verlieren ihre Emotionen und schlussendlich all ihre Sinne. Genau in dieser dramatischen Zeit begegnet Susan Michael (Ewan McGregor), einem Restaurant Koch, der all ihre Sinne und Emotionen auf den Kopf stellt.
Kritik
Obgleich er 2016 mit Hell or High Water sogar weltweit in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, der Schotte David Mackenzie ist Independent-Kino durch und durch. Was ihn von manchen Kollegen unterscheidet: Viele seiner Arbeiten scheinen einerseits durch den gelegentlichen Einsatz einiger bekannter Stars, hauptsächlich jedoch durch das geschickte Produktionsdesign wesentlich kostspieliger. Hell or High Water war für US-Verhältnisse mit 12 Milionen $ Budget und dem Mitwirken von Darstellern wie Jeff Bridges oder Ben Foster ein regelrechtes Schnäppchen, auch das zuvor gedrehte Gefängnisdrama Mauern der Gewalt wirkte beinah wie ein waschechter Studiofilm. Seinen (großen?) Durchbruch feierte Mackenzie endgültig 2007 mit Hallam Foe – This is my Story, trotz der gestiegenen Prominenz und Erwartungshaltung blieb er sich und seinen Vorstellungen jedoch stets treu. Perfect Sense passt aus allen diesen Blickwinkeln optimal in die Vita seines Schöpfers. Eine relativ kleine, schottisch-dänische Co-Produktion, die einen kommerziell durchaus verwendbaren Aufhänger nicht ausschlachtet, sondern daraus seine sehr eigene Interpretation erschafft. Trotz geringer Mittel aber wieder aussieht wie international mühelos wettbewerbsfähiges Studiokino, geschmückt mit Namen wie Ewan McGregor (Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen), Eva Green (Dumbo), Connie Nielsen (Wonder Woman) oder Ewen Bremner (T2: Trainspotting). Ein echter Mackenzie halt. Und noch dazu: Einer seiner Besten.
Die Apokalypse, sie schleicht sich an. Ist nicht sinnlos, aber macht sinneslos. Es beginnt mit einem schottischen LKW-Fahrer, der zunächst am Steuer einen melancholischen Zusammenbruch erleidet und im Anschluss seinen Geruchssinn verloren hat. Ihm folgen weltweit identische Fälle innerhalb kürzester Zeit. Es besteht kein direkter Zusammenhang, die üblichen Regeln eines Infektionsdiagramms greifen nicht. Wie und warum es sich so verbreitet, niemand weiß es. Ob ansteckend oder nicht, mit der ersten Welle wird noch halbwegs sportlich umgegangen. Erstens geht es eh zu schnell und unberechenbar vor sich, zweitens wird von Seiten der Informierten bewusst Panikmache vermieden und drittens: Ohne Riechen lässt sich – mit Abstrichen – noch ganz gut leben. Die Menschen sind beängstigt und nach der weltweiten Epidemie tritt auch kurzzeitig so was wie eine Schockstarre ein, relativ schnell wird sich jedoch mit dem neuen Status Quo arrangiert. Es wird versucht, sich an geliebte Gerüche zu erinnern, Lebensmittel werden als Ausgleich kräftiger gewürzt. Bedauerlich, aber das Leben geht weiter. Weil es das nicht nur muss, sondern es die Menschen auch so wollen. Sich zurechtfinden mit der ungewohnten, aber irrerversibelen Situation. Aber das war erste der Anfang.
Einem urplötzlichen Eintreten schon ekelerregender, gieriger, barbarischer Völlerei folgt das augenblickliche Aussterben des Gustatorischen. Geschmackssinn, auf nimmer Wiedersehen, von jetzt auf gleich. Erneut muss sich die Zivilisation neu aufstellen. Der Schritt fällt noch schwerer, wohl auch da langsam ein gespenstischer Prozess deutlich wird, gegen den immer noch kein Gegenmittel in Sicht ist. Aber es gelingt erneut. Bestmöglich wird versucht, unmittelbar an die verlorenen Sinne geknüpfte Erfahrungen und Rituale trotzdem zu erhalten. Ein Restaurantbesuch scheint absurd, inzwischen reichen Fett und Mehl. Das Sinnliche, das Emotionale, das Bedeutsame, es wird ausgerechnet nun aber erst wertgeschätzt. Ausgehen, sich bedienen lassen, jemanden etwas Schönes gönnen, sich an liebevoll angerichteten, haptisch ansprechend präsentierten Speisen zu erfreuen – all das gewinnt nicht nur einen viel höheren Status, es lässt eine Gesellschaft am Leben, die ihre Ende nicht einfach zu akzeptieren möchte. An der Stelle mag Perfect Sense für einige schon unglaubwürdig klingen (wenn sich so ein Plot überhaupt dahingehend überprüfen lassen müsste), dabei ist es genau dieser Punkt, der ihn so wichtig, ergreifend und reflektiert macht.
Wir gehen vor die Hunde, und wir wissen nicht wieso. Warum, das ließe sich womöglich noch am ehesten mit Karma erklären, aber ist schlussendlich auch egal. Wie, das ist besonders bitter. Und doch eigentlich der letzte Gang zum Beichtstuhl, an dem man noch mal lernt alles wertzuschätzen, was als selbstverständlich längst bagatellisiert war. Riechen, Schmecken, Hören, Sehen. Niemand, der alle Sinne von Geburt an hatte wird sie jemals missen wollen und sieht sie und alles was sie beinhalten als gegeben. Wer sie verliert, lernt sie in der Regel zu kompensieren. Aber was, wenn sie allen nach und nach genommen werden? Kann das auch eine Gesellschaft auffangen? Irgendwann sogar „vorbereitet“ und was sagt das über uns im weitesten Sinne aus? David Mackenzie hätte aus Perfect Sense sowohl einen düsteren Sci-Fi-Seuchen-Thriller als auch metaphorisch bedeutungsschwangeres Arthaus-Kino für die ganz lange Interpretations-Bank zimmern können, macht aber erfreulicherweise nichts davon. Erzählt lieber vor einem erschreckenden Gang ins unausweichliche Dunkel wie anhand des ganz speziellen Einzelschicksals eines an sich beziehungsunfähigen Liebespaares eine sensible Parabel über den wahren Wert des Lebens. Das es immer einen Grund gibt, nicht aufzugeben und das alles nur eine Frage der Umstände ist. Sicher auch nur bis zu einem gewissen Punkt, aber was wäre im Umkehrschluss besser? Seine große Liebe nie mehr sehen, oder nie mehr spüren zu können? Auch wenn das Eine dem Anderen wohl nur vorgezogen ist.
Fazit
„Perfect Sense“ findet eine elegant-ausgewogene Mitte aus kompliziertem Beziehungsdrama, bedrohlichem Endzeit-Kino und bald philosophischer Gesellschaftsstudie. Berührend, nachdenklich, emotional, aber nie zu prätentiös oder besserwisserisch. Ein unbequemes, trotzdem seltsam schönes Gedankenspiel mit einer lebensbejahenden Botschaft – obwohl alle Anzeichen dagegen sprechen.
Autor: Jacko Kunze