Das Schachbrett ist nicht nur Spielgerät, sondern auch Nährboden markanter Metaphorik. Und natürlich symbolisiert das Schachbrett auch im Falle von „Bauernopfer – Spiel der Könige“ das strategische Operieren innerhalb eines schwelenden Kriegsgeschehens. Eines rumorenden Nervenkrieges, ausgetragen auf dem Rücken der Vereinigten Staaten sowie der Sowjetunion, eingefangen auf politischer wie innerseelischer Ebene. Spätestens an dieser Stelle sollte dann auch jedem bewusst geworden sein: Ja, der Kalte Krieg darf mal wieder auf der großen Leinwand frösteln, nachdem sich zuletzt bereits Steven Spielberg mit seinem angenehm gediegen inszenierten Agenten-Thriller „Bridge of Spies – Der Unterhändler“ diesem historischen Kapitel der Zeitgeschichte angenommen hat. Edward Zwick („Blood Diamond“), der ja ebenfalls dafür bekannt ist, sich für geschichtsträchtige Stoffe zu interessieren, wenngleich er sich dabei partout nicht von seinen amerikanisierten Blick auf das Geschehen verabschieden möchte (siehe „The Last Samurai“ mit Tom Cruise), ist ein Filmemacher, der mehrfach unter Beweis gestellt hat, das klassische Erzählkino mit großen Bilder und noch größeren Gesten aus dem Effeff zu beherrschen.
Man möchte das Projekt „Bauernopfer - Spiel der Könige“ daher geradewegs in künstlerischer Sicherheit wiegen, wenn man hört, dass sich Edward Zwick der Lebensgeschichte des exzentrischen Schachprofis Bobby Fischer angenommen hat, der zur Hochzeit des Kalten Krieges den Titel des Weltmeisters errang, nachdem er 1972 im isländischen Reykjavík nach 21 Partien über seinen sowjetischen Herausforderer Boris Spasski (im Film von Liev Schreiber gespielt) triumphierte. Bobby Fischer nämlich darf sich wohl zu den Persönlichkeiten zählen, die von Außensicht betrachtet das Zeug zur (inter-)nationalen Ikone besitzen, allein durch ihr sagenhaftes Talent, sich in Wahrheit aber doch mit jeder Pore ihres Körpers dagegen wehren, in ein derlei verklärtes Heroen-Profil gedrängt zu werden. Das Ansprechende an Fischer ist dementsprechende seine Widersprüchlichkeit, die sich zwischen der Legende, die er für den Schachsport darstellt, und seiner psychologischen Gegenstandlosigkeit einpendelt. Ein (Anti-)Held also, der in „Bauernopfer – Spiel der Könige“ vom leider sträflich unterschätzten Tobey Maguire („Der große Gatsby“) verkörpert wird.
Um sich Bobby Fischer annähern zu können, muss man verstehen, dass dieser Mensch unnahbar ist. Man darf ihn nicht durchleuchten, transparent machen, um ihn in eine klare Schublade zu ordnen. Stattdessen muss man ihn in seinen klaffenden Ambivalenzen fassen und, wohl oder übel, gewähren lassen. „Bauernopfer – Spiel der Könige“ jedoch traut sich nie aufs Ganze zu gehen und Fischer als den hermetisch in sich geschlossenen Menschen darzustellen, der er nun mal war. Der Film begeht indes bereits zu Beginn den Fehler, Fischers Obsession zum Schach auf familiäre Probleme gründen zu lassen, was selbstverständlich wie ein küchenpsychologischer Kniff wirkt, um die Geschichte irgendwie ins Rollen zu bringen: Der Vater blieb ein Fremder, seine Mutter schmiss lieber Partys und Klein Bobby verzog sich in sein Zimmer, um alle erdenklichen Züge und Motive innerhalb des Schachspiels in seinem Kopf zu sichern, was ihn bereits im Alter von 14 Jahren zum jüngsten US-Champion aller Zeiten erklärte. Schach wird für Fischer zum Refugium. Hier genießt er die Hoheit.
„Bauernopfer – Spiel der Könige“ gelingt es über seine Laufzeit von gut 120 Minuten nicht, die Psychologie des Bobby Fischers als eigendynamischen Schaltraum zu verstehen, auf den Außenstehende keinen Einfluss haben. Vielmehr wird Tobey Maguire dazu gezwungen, Fischers Inneres nach außen zu kehren, wenn er durch tiefe Augenringe und auffällige Hautirritationen seine mentalen Zerwürfnisse an der Oberfläche für jeden deutlich sichtbar austrägt. Es ist eben ein elementarer Unterschied, wenn man mit einem Charakter konfrontiert wird, der sich durch subtile Grauzonen definiert, oder einem Charakter begegnet, bei dem dem Zuschauer sehr schnell klargemacht wird: Ja, der Kerl hat nicht mehr alle Latten am Zaun. Dabei wäre Bobby Fischer wunderbarer Aufhänger einer vielschichtigen , parabelhaften Erzählung. Man könnte von seiner Funktion als Propaganda-Spielball zwischen den Fronten berichten und das „Match des Jahrhunderts“ zur metaphorischen Kollektivpsychose erklären; von seinem persönlichen Feldzug gegen Amerika und das Judentum – oder auch einfach nur von seinem tragischen Abstieg in das tiefe Tal paranoider Verschwörungstheorien.
Immerhin lässt es sich „Bauernopfer – Spiel der Könige“ nicht nehmen, diese vielförmigen Anlagen in Ansätzen aufzuweisen und die beiden Kontrahenten, Bobby Fischer und Boris Spasski, nach und nach zum Spiegelbild des jeweils anderen zu formen. Da hört es dann aber leider auch schon auf und „Bauernopfer – Spiel der Könige“ vermisst eine zwingende Sache, um sich aus dem Sumpf des Durchschnitts zu erheben: Das Alleinstellungsmerkmal. Edward Zwicks zeitdokumentarische Inszenierung bleibt hochwertig, aber beliebig, seine zuweilen nervöse Montage ist gerade in Bezug auf den sensitiven Klangteppich gut gemeint, jedoch weitestgehend ineffektiv, weil die Figur des Bobby Fischer, der Katalysator der Narration, dieser jüdische Antisemit, dieser narzisstische Gefühlslegastheniker, dieser Eigenbrötler ohne autoritäres Vorbild, dessen Sucht das freudlose Siegen worden ist, in zu simple (Psychologie-)Muster gezwängt wird. Und so verfolgen wir Fischer und seine ausgeprägten Marotten reichlich teilnahmslos bis zum finalen Duell, um anschließend im Wechsel – wie es sich für konventionelle Biopic-Ware geziemt – Texttafeln und Archivaufnahmen zu fressen zu bekommen. Mahlzeit.