One Piece ist riesig. Der Manga verkaufte sich bis dato 462 Millionen Mal in 43 Ländern und ist somit der erfolgreichste Comic aller Zeiten. Mit einem Umsatz von 21 Millarden Dollar ist es eines der größten Franchises, noch vor Der Herr der Ringe und Spongebob. In Japan ist's überall, aber selbst hier in Deutschland erfreut sich die Geschichte um den Gummi-Mann großer Beliebtheit. Im täglichen Anime-Block des Senders ProSieben Maxx liefert die Serie stetig die besten Einschaltquoten, sodass nach einer Durststrecke die Synchronisation neuer Episoden wieder regelmäßig in Auftrag gegeben werden. Und an Episoden mangelt es den Synchronsprechern wahrlich nicht: Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes, flimmerten 918 Episoden über die Bildschirme (basierend auf 968 Manga-Kapiteln), die alle Teil einer bis heute ungebrochenen Narrative sind. Selbst im Kontext seiner Story, ist One Piece mit seinen hunderten Charakteren, Dutzenden Locations und seinem schier unendlichen Worldbuilding ein unzähmbares Ungeheuer.
Mit One Piece: Stampede findet der vierzehnte Filmbeitrag der Reihe seinen Weg in die deutschen Kinos, bei dem es sich um einen Film handelt, dessen Konsum in den Kinosaal gesperrt gehört ... insofern der Konsum dem Konsumenten denn nahe liegt. Denn One Piece: Stampede kennt sein Zielpublikum und geht all-in, wenn es darum geht den eingefleischten Fans 101 Minuten lang die Hirne mit epileptischen Bildern zu überladen und das Herz mit leckerem Fanservice zu massieren.
Hierbei lohnt es sich eigentlich nicht mal auf die Handlung einzugehen. Die Prämisse—ein Festival, auf dem sich Piraten zusammenfinden—sorgt dafür, dass so viele bekannte Gesichter wie möglich ihren Weg in den Film finden und das ist auch ihre einzige Existenzberechtigung. Für jeden Laien resultiert daraus ein Film, in dem mehrere Dutzend Charaktere einmal kurz durchs Bild hüpfen, mit ihrem Super Special Move mal kurz zwanzig NPCs wegpusten und anschließend nirgends aufzufinden sind. Und das ist nicht der einzige Punkt, den man aus einer objektiven Perspektive eigentlich nur unschön finden kann. Einzig Lysopp und Ruffy haben einen Bogen, die man nur im Entferntesten als eine simple Art der Charakterentwicklung bezeichnen könnte, die Motivationen des Antagonisten Douglas Bullet sind hauchdünn (er will der stärkste sein, ui ui) und wenn man hier Plotholepflücken gehen möchte, dann sollte man besser ALLE Tupperware-Schüssel mitbringen.
Letztendlich ist all dies jedoch (mehr oder weniger) irrelevant. One Piece: Stampede explodiert geradezu mit einer Identitäts- und Stilsicherheit, von dem sich jeder Fan sofort verstanden fühlen wird. So viele coole Charaktere (+ ihre abgefahrenen Kräfte) in einem Royal Rumble aufeinanderkrachen zu sehen, ist schon dezent episch (sprich: sehr). Hierbei leistet der Antagonist Douglas Bullet, trotz seiner Charakterpfütze, erstaunliches: Er ist nämlich krass bedrohlich und der Film weiß seine Bedrohung schnell und effektiv dem Zuschauer klar zu machen. Die stärksten Piraten (+ Ruffy) schließen sich schon zu Beginn zusammen, um ihn zu bezwingen, nur um wie lästige Fliegen beiseite gewatscht zu werden. Und dann wird er nur noch stärker, indem er in ganz grandioser Anime-Fashion sich weiterentwickelt ("This isn't even my final form!"). Hierbei ist die absolut fantastische Animation schon die halbe Miete, die den Bösewichten toll in Szene setzt.
Generell ist One Piece: Stampede womöglich der best-aussehendste Film der ganzen Reihe. Zum Beginn der aktuell laufenden (und tollen) Wano-Kuni-Staffel gab es einen Stabwechsel, was sich eindeutig in der Animation der neuen Serie—und auch in One Piece: Stampede—bemerkbar macht. Mit seinen dickeren Outlines im Charakterdesign und einer kontrastreicheren Farbpalette wurde dem Anime zum 20. Jubiläum visuell neues Leben eingehaucht, wovon diese Superkräfte-Karambolage enorm profitiert.
Ob man Gefallen an One Piece: Stampede finden kann, wird letztendlich von der eigenen Vertrautheit mit der Materie abhängen. Der Film spiegelt nicht wirklich die charakter-basierte, optimistische und lebensbejahende Substanz der Serie wieder, die die Fan-Herzen seit 20 Jahren nicht loslässt. Zumindest bleibt die Wirkung aufgrund seiner kurzen Laufzeit stark auf der Strecke. Neulingen wird deshalb geraten den Kopf in den Ruhezustand zu versetzen. Versuchen hier mitzuhalten dürfte das Risiko eines Hirnaneurysmas vervielfachen. Fans der Vorlage sei jede Sekunde gegönnt.