Berüchtigt hat in der Vita von Alfred Hitchcock (Marnie) schon ein kleines Eigenstellungsmerkmal, obwohl sich die Handlung auf dem Papier offenbar nicht allzu sehr von anderen Arbeiten des Regisseurs unterscheidet. Agenten- und Spionagegeschichten, aufgrund ihres Entstehungszeitraums viele auch mit Bezug auf das Nazi-Regime, gab es bei ihm besonders in den 30er und 40er Jahren einige, mit einem deutlichen Unterschied, der diesen Film so extravagant gestaltet: Der als Aufhänger verkaufte Part - also der einer US-Amerikanerin, die im Auftrag ihres Geheimdienstes in Rio sich an einen untergetauchten Exil-Nazi heranmacht, um dessen Gruppe zu infiltrieren – ist praktisch der für Hitchcock berühmte Macguffin. Nicht das dieser zur Nebensache verkommt, tatsächlich beinhaltet der Film eine der berühmtesten, smartesten und besten Spannungssequenzen aus Hitch’s gesamter Karriere (dazu später noch), aber eigentlich ist das seine größte, seine einzig waschechte Romanze.
Schon zu Beginn knistert es latent zwischen dem trinkfesten, leicht kratzbürstigen und ungezähmten Wildfang Alicia (Ingrid Bergman, Herbstsonate) und dem charmanten Fremden, der als letzter auf ihrer Party übrig bleibt. Doch das ist kein Zufall, denn Devlin (Cary Grant, Der unsichtbare Dritte) hat sie sehr bewusst ins Visier genommen und offenbart ihr mit dem Kater am nächsten Morgen auch warum. Alicia’s Vater wurde gerade wegen Hochverrat zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, da sich der gebürtige Deutsche mit geflohenen Nazis verschworen hat. Sie wurde nicht als Mitwisserin belangt, aber darf nun durch einen patriotischen Akt Buße tun. Um eine in Rio untergetauchte Nazi-Gruppierung zu unterwandern soll sie „zufällig“ auf das ihr durch ihren Vater bekannten Mitglied Alexander (Claude Rains, Der Unsichtbare) treffen, um dessen alte Vernarrtheit für sie auszunutzen. Mehr wiederwillig, aber letztlich doch bereit für stellvertretende Wiedergutmachung willigt sie ein, doch noch bevor der Auftrag richtig losgeht ist es um die Beiden schon geschehen: Kaum in Rio angekommen können Devlin und Alicia ihre Zuneigung zueinander nicht mehr verleugnen. Eine indiskrete wie äußerst schlecht getimte Liaison, denn die nun auch auf emotionaler Ebene alles andere als leichte und ungefährliche Mission muss natürlich trotzdem ausgeführt werden.
Fast aufdringliche lange und leidenschaftlich lässt Hitchcock seine Turteltauben sich unmittelbar vor Arbeitsantritt liebkosen (und umging damit geschickt eine damalige, amerikanische Sitten-Vorschrift, die keine Filmküsse über 3 Sekunde erlaubte, indem sich das Duo einfach das Dauerknutschen in einen Dialog einfließen ließ…oder eher umgekehrt), bevor die taufrische Romanze auf eine knüppelharte Zerreißprobe gestellt wird. Devlin muss nicht nur zusehen, wie sich seine Geliebte einem menschenverachtenden Kriegsverbrecher an den Hals wirft, kurze Zeit später muss er mehr oder weniger sogar seinen Segen geben, damit sie das Scheusal ehelichen kann. Der Plan funktioniert, das Herz blutet, aber der Kopf muss klar bleiben, da Probleme früher oder später natürlich nicht zu vermeiden sind. An Tisch und Bett ihres Zielobjektes hat Alicia es geschafft, aber der weitaus schwierigere Teil der Mission steht noch bevor: Das beschaffen wichtiger Informationen über die Aktivitäten der Gruppe, die paranoid genau darauf achten nicht enttarnt zu werden und Fehler wie Vertrauensbrüche in der Regel mit „tragische Unfällen“ bestraft.
Dieser investigative Prozess findet seinen Höhepunkt während einer Party in der luxuriösen Höhle des Löwen, in dem Alicia und Devlin im Wettlauf gegen die Zeit – und gegen den Durst der Gäste – ihre Chance nutzen müssen, mit hohem Risiko und ohne Gewissheit, was die Konsequenzen ihres Tuns sein werden. Hitchcock präsentiert hier seine ganze inszenatorische Klasse und immense Filmintelligenz, mit der er genau versteht, wie der Zuschauer tickt und mit seinem Empfinden für Anspannung spielt wie auf einem exakt gestimmten Klavier. Exzellent gefilmt, arrangiert und mit dieser erlesenen Idee verfeinert, wie das immer schmaler werdende Zeitfenster elegant und kreativ greifbar gemacht wird, stellt dieser Abschnitt formal klar das Highlight dar. Aber das und das Folgende bis zum erlösenden Finale ist eigentlich nur eine meisterlich durchgeführte Form der Ablenkung, eine Täuschung der Genre-Zugehörigkeit. Bei all seiner Qualität als Thriller, Berüchtigt ist in erste Linie eine schmachtende, stellenweise tragische und sehnsüchtige Romanze voller Hürden und Gefahren.
Der einzig sinnvolle Zweck, das wahre Anliegen des Films ist es, das sie am Ende doch noch wieder zueinander finden. Wie egal der eigentliche Fall genau genommen ist, stellt Hitchcock zum Schluss nochmal fast beiläufig, aber dennoch unmissverständlich klar. Selbst Cary Grant möchte nicht mehr mit den unwichtigen Details über die Nazi-Pläne belästigt werden (die wir auch nicht erfahren). Wichtig ist nur noch sie, ist nur noch ihre Zweisamkeit. Sollen sich die Anderen mit dem Pack herumschlagen oder die sich gleich gegenseitig umbringen, wir sind dann mal weg. Schön.