Der Zweite Weltkrieg gilt als eine der schlimmsten Kettenreaktionen in der Geschichte der Menschheit, und seine Folgen sind noch immer in vielen Konflikten spürbar. Wäre der Holocaust nicht geschehen, wären wohl viele Krisenherde der heutigen Zeit nicht so ausgeprägt oder gar nicht erst aufgekommen. So wie der, um den es in No Other Land geht, der auf der Berlinale 2024 den Preis für die beste Dokumentation gewann. Im Zentrum dieses Werks steht der palästinensische Aktivist Basel Adra, der die Vertreibung seines Volkes aus dem Westjordanland dokumentiert – ein Thema, das seit mehr als einem halben Jahrhundert die Geschichte dieser Region prägt.
Seit der israelischen Besetzung des Westjordanlands 1967 ist die Situation der palästinensischen Bevölkerung geprägt von Vertreibungen, Zerstörung von Häusern und dem Verlust von Lebensgrundlagen. Basel, der als Jurist ausgebildet wurde, jedoch aufgrund der prekären Lage seines Volkes keine Perspektive auf eine angemessene berufliche Zukunft hat, hält diese Ungerechtigkeit mit seiner Kamera fest. Seine Aufnahmen, oft aus der Perspektive seiner Digitalkamera, vermitteln eine erschütternde Intimität und Dringlichkeit. Was er festhält, ist kaum zu fassen – Zeugen einer unaufhörlichen Tragödie. Seine Bilder sind mehr als bloße Dokumentation, sie sind ein Manifest der Wut, der Verzweiflung und der anhaltenden Hoffnungslosigkeit, die mit jeder Zerstörung, jedem Protest, jeder erlebten Gewalt noch weiter genährt wird.
Der Film begleitet Basel im Alltag, was uns nicht nur einen Blick auf seine persönliche Leidensgeschichte gewährt, sondern auch auf die unverändert tragische Lage der Palästinenser im Westjordanland. In Zusammenarbeit mit dem israelischen Journalisten Yuval Abraham und der Kamerafrau Rachel Szor zeigt der Film den Blick aus der Sicht von Basel, der nach wie vor von der drohenden Zerstörung seiner Heimat geprägt ist. Diese Bedrohung begleitet ihn und seine Familie tagtäglich und bildet den düsteren Hintergrund seiner Existenz. Basel, der sich als Bürger zweiter Klasse in seinem eigenen Land fühlt, findet sich in einem konstanten Überlebensmodus wieder. Die bitteren Bilder von zerstörten Häusern, den Tränen der Eltern und den opfernden Leben sind nicht nur Zeugen von Gewalt, sondern auch von einer tief verwurzelten Ungerechtigkeit, die sich über Jahrzehnte hinweg fortsetzt.
Es ist unmöglich, diesen Film anzusehen, ohne eine Wut zu verspüren. Es ist jedoch nicht die Absicht des Films, antisemitische Tendenzen zu wecken oder den Konflikt als religiösen Krieg darzustellen. Religion spielt keine Rolle; vielmehr geht es um die Frage nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Die israelische Besatzung und die fortwährende Unterdrückung der Palästinenser stehen im Mittelpunkt des Geschehens, ohne dass ein moralischer Zeigefinger erhoben wird. Was zählt, sind die Menschen und ihr Kampf um das, was ihnen genommen wurde. Die Terrorgruppe HAMAS, die in diesem Kontext nie thematisiert wird, spielt in No Other Land keine Rolle, da der Film ausschließlich auf die Erfahrungen von Basel Adra fokussiert bleibt.
Der Film zeigt uns ein Bild der Verzweiflung, das seit Jahrzehnten unverändert bleibt, und lässt uns mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Doch trotz der düsteren Bilder und der offenen Fragen, die der Film aufwirft, ist No Other Land ein eindringlicher Appell für den Frieden. Es gibt keine einfache Lösung, keine schnelle Antwort, doch der Film erinnert uns daran, dass der Weg zur Lösung des Konflikts in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der Realität der Unterdrückung und der Verzweiflung liegt. Er ist ein dringender Aufruf zur Wahrhaftigkeit, zur Auseinandersetzung mit der Realität – und vor allem zur Hoffnung, dass Veränderung trotz allem noch möglich ist.