In der Welle der Biopics, die Oscar-Abräumer Bohemian Rhapsody auslöste, befand sich neben Rocketman, Respect oder dem bald erscheinenden I Wanna Dance with Somebody auch Stardust. Die Biografie über David Bowie, einen der einflussreichsten, erfolgreichsten und größten Musiker seiner und kommender Zeiten. Doch Fans waren nicht gerade begeistert. Durch fehlende Autorisierung kamen die Songs des 2016 an Krebs verstorbenen Tausendsassa nicht vor. Ganz zu schweigen davon, dass der Film nicht mehr bot als handwerklich solides, aber künstlerisch eintöniges Biopic-Kino. Wer sich nur fünf Minuten mit Bowie auseinandersetzt, wird verstehen, das Formalität ihm niemals gerecht werden kann. Der Meinung war wohl auch Regisseur Brett Morgen, der gemeinsam mit Bowies langjährigem Musikproduzenten Tony Visconti, dem Animator Stefan Nadelman und Zugang zum offiziellen Bowie-Archiv nun einen Film realisierte, der eines der schönsten, mitreißenden und wundersamsten Werke ist, die 2022 unsere Kinoleinwände berühren.
Fünf Jahre wühlte sich der Dokumentarfilmer, der zuvor Filme über Kurt Cobain, The Rolling Stones oder Jane Goodall machte, durch hunderttausende aufgenommene, niedergeschriebene Gedanken und Erinnerungen des Ausnahmekünstlers. Dank TV- und Radio-Auftritten, Konzertmitschnitten, Promomaterial und Hinter-den-Kulissen-Aufnahmen erstellte er eine künstlerisch spannende wie überaus hochwertige Assemblage, in denen er Aussagen und Songs von Bowie gerne auch mit surrealen sowie expressionistischen Bilderreigen kombiniert. Mal zusammengesetzt aus Farben, Formen und Ideen, ein anderes Mal addiert mit Schnipseln von Zelluloidklassikern. Popsongs wie Ashes to Ashes, Hello Spaceman oder Let‘s Dance treffen auf Die Reise zum Mond, Dr. Caligari, Nosferatu, Jungfrau von Orléans, Das siebente Siegel, Ein andalusischer Hund, 2001: Odyssee im Weltraum, und, und, und. Ein audiovisuelles Gipfeltreffen, das nie zu einem Wettkampf wird, sondern sich vom ersten Moment an als eine absolut vorzüglichen Synergie entpuppt.
Brett Morgan nimmt die Brocken, Fragmente, Splitter, Staubpartikel des künstlerischen Outputs des Popstars und kreiert daraus selbst Kunst. Eine Collage, die sich lose an der Schaffensvita seines Subjekts entlang hangelt, aber dabei niemals den Eindruck erweckt, dass hier didaktisch die Karriere des Briten abgearbeitet wird. Es gibt keinen einzigen Moment in Moonage Daydream, der wie reguliert, wie die Auswirkung eines Dekrets daher kommt. Alles hier wurde sicht- und fühlbar erschaffen, um die Größe und Vielseitigkeit von Bowie zu zelebrieren, aufzuzeigen und zu unterstreichen. Es ist eine gelungen Odyssee, die nicht nur die Karriere, sondern auch Gedankenwelt des immer auf Wandlung ausgelegten Ausnahmekünstlers durchstreift. Ein Künstler, der in diesem Film so kompromisslos im Zentrum steht, dass neben ihm nur sehr wenig andere relevante Stimmen zu Wort kommen. Hier gibt es keine Tallking Heads. Bowie spricht über Bowie und den ganzen Rest. Das ist durchaus radikal, aber auch unglaublich draufgängerisch und animierend. Nach so vielen Jahren mit standardisierten (Netflix-) Dokus wirkt dieser Film wie eine Frischzellenkur.
Moonage Daydream ist reine Ekstase. Gewiss, eine kräftezehrende Zeit, aber als Verdienst erhält man einen transzendentalen Rausch, wenn man so will sogar eine spirituelle Erfahrung, und natürlich auch jede Menge unglaublich tolle Musik. Immer wieder werden Live-Songs in Gänze ausgespielt, wird Bowies Werk der jeweiligen Dekade visuell mit der damaligen Kultur und Gesellschaft gegenübergestellt. Unkommentiert. Hier wird niemanden etwas vorgekaut. Der eigene Geist wird von Moonage Daydream wunderbar angeregt, dass es eine enorme Freude macht, sich und seinen Verstand regelrecht ins Œuvre des Künstlers zu versenken.
Es kann gerne darüber gestritten werden, ob das hier überhaupt noch als Dokumentarfilm bezeichnet werden kann, aber nach Moonage Daydream wirken die meisten Filme über Künstler*innen so gewöhnlich, mutlos und langweilig, dass es vollkommen egal ist, was die Produktion von Universal eigentlich ist. Es steckt so viel darin, vor allem aber David Bowie. Seine Unsterblichkeit wird hier immens untermauert. Nicht mit auf einer Festplatte gebannten Selbstgefälligkeit, sondern mit eskapistischer Hingabe. Ein euphorisches, anbetungswürdiges Kunstwerk, welches übrigens mit einem wuchtigen, alles durchdringenden Sound Design gesegnet ist, von dem selbst große Blockbuster sich noch eine Scheibe abschneiden können. Und Stardust wahrscheinlich auch.