Die Dunkelheit bricht herein. In einem Motel-Zimmer irgendwo im Nichts läuft der Fernseher, zwei Männer machen sich aufbruchbereit, prüfen ihre Waffen, lösen an das Fenster geklebte Pappkartons, bevor sie dem Jungen mit der blauen Schutzbrille ein Zeichen geben und mit dem Auto auf den nächtlichen Highway brausen. Schnell wird klar: Sie sind auf der Flucht. Um eine Straßenkontrolle zu entgehen, wechseln sie auf eine dunkle Landstraße, löschen alle Fahrzeuglichter, der Mann am Steuer streift sich eine Nachtsichtbrille über, der Zuschauer im Kinositz hält den Atem an.
Bereits in den ersten Sequenzen zeigt »Midnight Special« eindrucksvoll, worin seine filmischen Stärken bestehen: pointierte, durchdacht komponierte Bilder mit Ausdruckskraft, die Spannung erzeugen und auch mit wenigen Worten die Beziehung zwischen den Figuren illustrieren. Der Einstieg nimmt einen direkt mit auf die wilde Flucht Roys (Michael Shannon), seines Freundes Lucas (Joel Edgerton, »The Gift«) und des kleinen Alton (Jaeden Lieberher, »St. Vincent«), Roys Sohn. Für die Nachrichtenkanäle geht es um eine Entführung, für Roy um eine Rettungsaktion, denn er hat Alton aus den Klauen einer christlichen Sekte befreit, welche im texanischen Nirgendwo auf »der Ranch« lebt. Sowohl das Sektenoberhaupt — Altons Adoptivvater — als auch das FBI schickt dem flüchtigen Trio seine Häscher hinterher, denn Alton hat unerklärliche Fähigkeiten, die ihn vielleicht zum Erlöser, vielleicht zu einer Waffe machen. NSA-Mitarbeiter Paul Sevier (Adam Driver, »Star Wars: Das Erwachen der Macht« ) ist vor allem an Altons Fähigkeiten interessiert, hochgeheime Regierungscodes zu knacken, während die Sektenmitglieder überzeugt sind, der Junge spreche in Zungen. Alle wollen ihn in die Finger bekommen. Und genau das möchten Roy und Sarah (Kirsten Dunst), Altons leibliche Mutter, auf keinen Fall zulassen. Stattdessen setzen sie alles daran, Alton rechtzeitig an einen geheimnisvollen Ort zu bringen. Was genau dort passieren wird, wissen sie nicht, sie haben nur eine Hoffnung: Dass es ihr Kind rettet.
»Midnight Special« wird als gewagter Genre-Mix angepriesen — Roadmovie, Actionfilm, Science Fiction. Bemerkenswerter als der Mix sind aber womöglich die Fragen, die hinter der Handlung stehen. Die Instrumentalisierung geheimnisvoller Fähigkeiten durch einzelne Interessensgruppen ist da nur vordergründig ein Thema, weit stärker geht es darum, was das Beste für ein Kind ist, wer darüber bestimmen kann und wie sehr Liebe festhalten darf. Fragen, mit denen der Film durchaus punkten kann. Dazu kommen solide bis sehr gute schauspielerische Leistungen: Michael Shannon überzeugt in weiten Teilen als besorgter und entschlossener Vater, Joel Edgerton weiß seinem recht geradlinigen und einsilbigen Charakter Lucas eine Ahnung von Tiefgang zu geben, und Adam Driver darf als leicht unbeholfener NSA-Neuling Sympathien sammeln und für das ein oder andere Schmunzeln sorgen. Der kleine Jaeden Lieberher taut im Laufe der Handlung auf und wird von einem rätselhaften Fremdkörper zu einem glaubwürdigen Kind, das durchaus warmherzig mit den erwachsenen Schauspielern interagiert.
An Zutaten ist also alles vorhanden, um aus »Midnight Special« einen gleichermaßen packenden wie berührenden Film zu machen. Doch im Blick auf das Gesamtwerk gelingt das nicht so ganz. So hat sich der Film letztlich zwar große Fragen gestellt, scheitert aber daran, sie dramaturgisch auch effizient umzusetzen, und bleibt so zwangsläufig hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück. Was an guten Gedanken sowohl hinter der Prämisse der Handlung als auch der fein ausgearbeiteten Dynamik der Figuren untereinander steckt, wird in Teilen durch schwache und hölzern wirkende Dialoge eingerissen. Weite Teile von Altons, Roys und Sarahs Vergangenheit nur in Form sparsamer Informationen einzustreuen, ist ein Kunstgriff, der ebenfalls nicht vollständig gelingt. »Normalerweise gäbt ihr eine sehr hübsche Familie ab«, sagt Lucas im Lauf des Films zu Sarah, und spätestens da drängt sich die Frage auf, dass die Figuren mit ein wenig mehr Kontext noch deutlich an Kontur und Nachvollziehbarkeit gewonnen hätten. So erzeugt zwar das schauspielerische Können Empathie und das immer wieder gelungen inszenierte Gefühl von Dringlichkeit und Bedrohung erzeugt genug Spannung, um zumindest szenenweise nägelkauend die Entwicklungen zu verfolgen. Doch wahre Bindung an die Charaktere bleibt weitgehend aus, weil ihre Motivationen und Hintergründe insgesamt doch zu tief im Dunkeln bleiben.
Es ist, als ob »Midnight Special« spielerisch mit verschiedenen Aspekten jongliert — und nicht alle Bälle hält es dabei erfolgreich in der Luft. Dass sowohl die Sektenmitglieder als auch FBI und NSA mit ihren divergierenden Interessen in Erscheinung treten, illustriert das Problem: atmosphärisch gestaltete Handlungsstränge, die letztlich aber ins Leere zu laufen scheinen. Auch die in feinen Zwischentönen inszenierte Rivalität zwischen den routinierten FBI-Agenten und dem immer etwas verloren wirkenden Paul Sevier tröstet darüber nicht hinweg. Mehr noch: Insbesondere im letzten Drittel des Films zerfasert die Story auf einmal völlig, der Ball »Plotplausibilität« ist hier wohl endgültig zu Boden gefallen, die Figuren stolpern von einem Logikloch ins nächste und mancher Wendung lässt sich anmerken, dass ihre einzige Existenzberechtigung im Zusammenführen von Handlungssträngen besteht. Das nimmt dem Film leider einiges an Wirkungskraft und verstärkt letztlich das Gefühl, dass die dramaturgisch klug angelegten Konflikte nur selten vollkommen entwickelt und ausgeschöpft werden — oder aber vor der Zeit und eine ganze Spur zu plakativ gelöst. Lucas’ und Roys Diskussion darum, was für Alton das Beste sein mag, ist da nur ein Beispiel.
Altons Fähigkeiten selbst sind überwiegend ansehnlich in Szene gesetzt, effektvoll dosiert und werden nie überreizt, sodass hier zumindest sehr schön das Anliegen hinter der Story deutlich zu werden scheint: die Menschlichkeit sichtbar zu lassen. Auch wenn ihm Licht aus den Augen strahlt und er die Erde zum Beben bringt, ist Alton letztlich nur ein kleiner Junge, dessen Körper unter den scheinbar unkontrollierbaren Anfällen leidet. Allerdings schafft es Jaeden Lieberher trotz immer wieder aufflackernden Talents nicht so recht, Alton durchgängig greifbar zu porträtieren und vor allem seine Entwicklung zu einem immer souveränerem Umgang und seine Erkenntnisse zu den eigenen Fähigkeiten glaubhaft darzustellen. Und während es einerseits durchaus erfreulich ist, dass des Rätsels Lösung selbst wieder rätselhaft bleibt und nicht alles zu Tode erklärt wird, fügt sich die angestrebte Erklärung nicht wirklich stimmig ins Gesamtbild ein. Obwohl die finalen Bilder von »Midnight Special« durchaus gut komponiert sind und auch emotional weitgehend funktionieren, bleibt am Ende doch eher ein Stirnrunzeln.