Art of Revenge liegt erstmal eine interessante Konstellation an Motiven zu Grunde. Da wäre zum einen die Kunst, die vor allem innerhalb der ersten fünfzehn Minuten eingeleitet wird. Dann folgt das Motiv der Vergewaltigung, das den Dreh- und Angelpunkt des Plots darstellt, und zu guter letzt folgt (langsam eingeführt) die Rache. Das Interessante und ebenso Bedauernswerte an dem Film ist, dass er es nicht versteht, auch nur eines dieser drei Motive akkurat aufzuarbeiten. Interessant in dem Sinne, dass der Film in vielen Punkten wirklich innovativ ist und bedauernswert in dem Sinne, dass diese Innovationen im Gesamtkontext eher wenig sinnvoll erscheinen. Wirklich schade ist das deshalb, weil der Film die richtigen Fragen stellt, nur leider gibt er die falschen Antworten oder aber Antworten an Stellen, an denen man sich besser hätte im Schweigen üben sollen.
Im ersten Drittel des Filmes wird die Protagonistin Noelle (Francesca Eastwood,Final Girl) vergewaltig. Dabei handelt es sich keineswegs um eine filmisch stereotypische Vergewaltigung, in der ein junges Mädchen abends auf den falschen Fremden trifft. Hier entwickelt sie sich aus einer ganz unschuldigen Situation, die auch aus einer Coming-of-Age-Story hätte stammen können: Noelle trifft auf einer Party auf einen jungen Mann und findet sich bald küssend mit ihm in einem abgesonderten Zimmer. Dort weigert sie sich aber deutlich, einen Schritt zum eigentlichen Akt weiterzugehen, woraufhin sie von dem jungen Mann vergewaltigt wird. Diese Ausgangslage ist deshalb so interessant, weil sie eine Vorlage dazu bietet, genau das zu vermeiden, woran Art of Revenge am Ende unter anderem scheitert. Sie lädt regelrecht dazu ein, den späteren Racheakt differenziert zu bewerten, was der Film zwar des Öfteren vorlügt, jedoch nie in die Tat umsetzt.
Doch auch die Ausgangslage ist in ihrer Darstellung problematisch. Natalie Leite (Fall and Winter) versucht die Vergewaltigung in dieser, wie auch späteren Sequenzen, möglichst hart und spürbar in Szene zu setzen. Das ist ein Vorgehen, das wir sehr oft beobachten, das jedoch meistens ideologisch fragwürdig oder einfach uninteressant ausfällt, da es Dinge gibt, die man einfach nicht darstellen kann, zumindest nicht wertfrei ohne eine Art Aufarbeitung. Das dokumentarische Darstellen von moralischen Absurditäten (Krieg, Vergewaltigung, Mord, etc.), die sich jeglichem Humanismus entsagen, kann gar nicht akkurat stattfinden, da es Szenen sind, die wir als Nicht-Betroffene nicht nachempfinden können. Sie sind also stark zweckorientiert und tragen eine bedenkliche Ideologie in sich. Es handelt sich zumeist- ob nun gewollt oder nicht- um eine emotionale Ausbeutung von Szenarien, ohne den Versuch Distanz zu gewinnen.
Aus dieser Vergewaltigung erwächst dann nach obligatorisch eingefügten psychischen Folgen der Rachegedanke. Und der Weg zu diesem Rachegedanken ist äußerst problematisch dargestellt. Die Ausgangslage, die wie bereits erwähnt ein gewisses Potential in sich trägt, wird auf den denkbar schlechtesten Weg verarbeitet. In den folgenden Minuten zeigt uns der Film weitere Opfer (wieder in unsensibler und dokumentarischer Darstellung) und macht aus einem Einzelfall ein Kollektiv, und zwar auf so ungeschickte Art und Weise, dass man meinen könnte, der Filme wolle aussagen, dass es sich bei jedem Mann um einen Vergewaltiger handele. Das wäre, wenn man den Mut gehabt hätte und es überspitzt dargestellt hätte, ein interessanter Ansatz. Stattdessen arbeitet der Film dieses Potential ästhetisch nicht auf und führt in der Mitte sogar eine einzelne und sehr dünn gezeichnete männliche Figur ein, die dann einen der „Guten“ darstellen soll.
Entweder man arbeitet ein Thema differenziert auf oder man setzt ein überzeichnetes Statement, um eine gewisse Denkweise zu provozieren: Art of Revenge macht beides nicht. Man kann aber mutmaßen, dass er versucht beides zu kombinieren. Den Gipfel dieser „differenzierten Betrachtung“ stellt eine Schlüsselszene zum Ende hin dar. In dieser Szene ist Noelle kurz davor einen mutmaßlichen Vergewaltiger hinzurichten. In einem kurzen Wortgefecht realisieren beide, dass sich eine Person vor ihnen befindet: Die Rächerin realisiert, dass der Vergewaltiger nicht nur das pure Böse ist, und der Vergewaltiger realisiert, dass die Rächerin einen speziellen Hintergrund hat. Dieser kurze, aber sehr prägnante Moment trägt eine starke Inhaltskraft in sich: Ungerechtigkeit ist Unwissenheit. Man kennt den „Fremden“ nur in Bezug auf eine Tat und baut sich ein pauschales Bild eines Menschen um ihn herum.
An dieser Szene wird ein moralisches Dogma deutlich, das wir uns immer wieder vor Augen führen sollten: Wir lehnen körperliche Gewalt ab. Und dazu gehört eben auch diese Auge-um-Auge-Ideologie. Eine belanglose Figur in dem Film sagt so schön: "Auge um Auge macht die Welt blind". Doch was nach dieser faszinierenden Szene geschieht ist das eigentlich Ausschlaggebende für den Film. Noelle ermordet den Mann und zerstört damit das gesamte Potential des Moments. Ihr Racheakt wird zwar zum Schein immer wieder von Nebencharakteren hinterfragt, diese werden jedoch schnell als dümmlich oder psychisch labil entwertet. Noch ärgerlicher wird es dann, wenn der Film einen Begriff wieder aufgreift, den er innerhalb der ersten fünfzehn Minuten auf holprige Art eingeführt hat. Es handelt sich um den Begriff „Kunst“. Dabei wird am Anfang versucht zu zeigen, dass Kunst über das Handwerk hinaus geht. Zum Ende hin wird dann gezeigt, wie Noelle durch ihren Racheakt zu einer brillanten Künstlerin avanciert. Der Film sieht die Rache nicht nur als Mittel der persönlichen Befreiung, sondern auch als Schlüssel zur künstlerischen Genialität.