Inhalt
Sean Bean macht einen auf Liam Neeson und überlebt
Kritik
Die nüchternen Agenten-Thriller aus den 70ern, wie „Der Schakal“ von Fred Zinnemann, erleben nun schon seit einigen Jahren eine Wiederauferstehung, die vor allem mit ihrer düsteren und brutal-kompromisslosen Darstellung zu punkten wissen. Spätestens seit „Die Bourne Identität“ wird die Bombast-Inszenierung mit ihren Schießereien und Explosionen aus diesem Teil des Thriller-Genres vertrieben und durch handgemachte, persönlichere Nahkampf-Action, bedrückend-dunkle Atmosphäre und Kompromisslosigkeit in der Wiedergabe ersetzt. Sogar James Bond kehrte seinem alten Rezept den Rücken zu, indem es sich mit Daniel Craig dem realistischeren Ton zuwendete. Mit „Cleanskin“ beschert und Regisseur, Cutter und Drehbuchautor Hadi Hajaig einen Thriller, der allein mit seinem kalten Ton den Puls in die Höhe treibt.
Ash (Abhin Galeya) ist Mitglied einer radikal-islamistischen Terrorzelle in Großbritannien, die mit einer geklauten Ladung Sprengstoff mehrere Anschläge auf London verüben wollen. Agent Ewan (Sean Bean) wird von allen Grenzen des Gesetzes befreit und soll für die Regierungsbeamtin Charlotte (Charlotte Rampling) die Terrorzelle ausschalten und weitere Anschläge verhindern. Dass die gesuchten Verbrecher sogenannte „Cleanskins“ sind, also Bürger, die keinerlei Vorstrafen haben und nie aufgefallen sind, macht seine Suche nicht gerade einfacher…
Glücklicherweise ist diese doch sehr klischeebehaftete Handlung über den Kampf gegen den Terrorismus und vor allen gegen die Zeit letzten Endes nur zweitrangig. Denn Regisseur Hadi Hajaig legt seinen Fokus bei der Erzählung eher auf die Motive und Gründe, sowohl auf die der Terroristen, als auch auf die der vermeintlich Guten. Offenbart wird, dass schlussendlich nicht alles ist, wie es zu sein scheint. Der Islamismus ist nicht nur schwarz und böse, die westliche Welt ist ebenso wenig unschuldig. Die Regierung (hier verkörpert durch die Rolle der Charlotte), fühlt sich durch die Paranoia und die ständige Gefahr des Terrorismus gezwungen, um des Schutzes willen zu handeln. Wenn auch diese Handlung ähnlich viele Opfer fordert, wie ein Anschlag selbst. In vielen Rückblenden wird eindrucksvoll erklärt, wie Ash eigentlich in die Arme der Islamisten getrieben wurde und zugleich viele Punkte der Integrationsdebatte vertreten, wodurch es Hadi Hajaig dem Zuschauer wirklich nicht einfach macht, sich auf eine Seite zu stellen. Er differenziert und analysiert, was dem Thriller einen starken Impact verleiht. Wie auch die profilreiche Figur des Ash, wird auch der Charakter des Ewan mit einer glaubwürdigen Hintergrundgeschichte bestückt, die angesichts all der Filme in der Vergangenheit, die nur die Motive der „Guten“ beschrieb, leider konventionell daherkommt.
Ähnlich beeindruckend, wie der politische Subtext ist die Atmosphäre in „Cleanskin“, die glatt aus einem Bourne-Film stammen könnte. Kalt, grau und auf eine bedrückende Art nüchtern offenbart sich „Cleanskin“ als äußerst hartes Stück Film, indem mit Blut nicht gegeizt wird. Die Auseinandersetzungen beschränken sich, ganz in Bourne-Manier, auf harte Nahkampf-Szenen, die allerdings ein ganzes Stück brutaler ausfallen. Hier wird die Hand eines Gegners mit einem Messer an der Wand festgenagelt, dort wird ein Anderer lebendig verbrannt. Die Wut des Charakters Ewan, die aus seiner „Backstorywound“ resultiert, und die Zweifel und den Schock über das, was er gerade getan hat, weiß Sean Bean indes hervorragend rüber zu bringen. Sein Zorn lässt ihn, ähnlich wie Liam Neeson in „Taken“, den Schmerz seiner Gegner auskosten, wobei er selbst nicht zurückscheut, Frauen zu foltern.
Fazit
Obwohl die Handlung in „Cleanskin“ an sich genommen wirklich eindimensional ist und hunderte Male erzählt und gezeigt wurde, ist diese hierbei gar nicht von Belang. Es ist eher der fantastische, zum Nachdenken anregende und differenzierende Subtext, der story-technisch zu überzeugen weiß. Aber auch wenn man als Action-Freund sowieso keinen großen Wert auf Handlung legt, so sei dem diese kleine Perle von der Insel nur wärmstens empfohlen. Die Action ist hervorragend inszeniert, wuchtig und brutal. Nur die Wackelkamera nervt. Aber als Ausgleich dafür überlebt Sean Bean! Und das sollte auch gewürdigt werden, so oft wie der arme Mann seinen Tod spielen muss.
Autor: Kadir Güngör