Inhalt
Lin Yingzi ist eine alte Frau und erinnert sich an die wichtigsten Stationen ihres Lebens zurück. Xiuzhen war ihre erste Freundin: Eine junge Frau, deren Mann verhaftet wurde und deren Tochter als vermisst galt. Später zieht Yingzi fort und freundet sich mit einem jungen Mann an, der zum Dieb wird. Als ihr Vater stirbt, verlässt Lin die chinesische Hauptstadt ...
Kritik
In den von Yigong Wu verfilmten Erinnerungen Lin Yingzis scheint das Alte Peking auf den ersten Blick nicht größer als ein Dorf. Zumindest für das aufgeweckte Mädchen, gespielt von Jie Shen, als das sie in den 1920er Jahren im Süden Pekings ihre Kindheit verbrachte. Die Nachbarschaft kennt sie, sie wiederum kennt die Straßen und Wege, auf denen sie nach der Schule spielt und auf Entdeckungssuche geht. Ihr Blickwinkel, die Grundlage der Inszenierung und Erzählung des Films, ist zu Beginn ein unbeschwerter, ein beinah märchenhafter, der politische und gesellschaftliche Themen zunächst nur als Schraffuren naiver und nostalgischer Färbungen mit sich trägt.
Von der Politik und den Folgen der turbulenten 1920er Jahre bekommt sie nur Ausschnitte mit. Richtig begreifen kann sie es nicht, selbst als sie sich mit einer Frau namens Xiuzhen (Min Zhang) anfreundet, die einen Teil ihr Familie verloren hat und als Ausgestoßene am Rande der Gesellschaft lebt. Erst die Begegnung mit der jungen Yingzi dekonstruiert ihr durch die anderen Bewohner*innen verklärtes Abbild der Verrückten und bringt die Einfühlsamkeit der Protagonistin zum Vorschein. In weiteren kleinen Episoden verfolgt der Film andere Stationen ihrer Kindheit, unter anderem das Kennenlernen eines jungen Mannes (Zhang Feng Yi; Red Cliff, Der Kaiser und sein Attentäter), der ein Geheimnis zu verbergen hat. Niemals lässt sich die Geschichte dabei von einem (politischen) Großen und Ganzen ablenken, findet stattdessen immer zu der jungen Hauptfigur zurück. In ihrem eigenen kleinen Mikrokosmos reihen sich somit in erster Linie subjektive Erinnerungen aneinander, die durch einzelne Nebenfiguren nur zurückhaltend ergänzt werden.
Als würde das Publikum durch ein angestaubtes, leicht vergilbtes Fotoalbum blättern, fängt Meine Kindheit im Alten Peking Andenken an die Schulzeit, an den Vater (Xiang Yan) und die Mutter (Rong Hong), an Freundschaften, besondere Begegnungen und den ganz normalen Alltag ein. Unaufgeregt sind die Bilder, kulissenhaft viele der Szenerien, das Erzähltempo überaus gemächlich. Durch den überwiegend zurückhaltenden Einsatz von Musik schafft der Film eine sanfte Bodenständigkeit, die Außenstehenden einen Zugang über die persönliche Erinnerung hinaus ermöglicht. Wenngleich diese und deren perspektivisch schlichtere und befangene Tönung niemals ganz verschwindet. Leider ist der Film an dieser Stelle nicht im Originalton mit deutschen Untertiteln verfügbar, sondern lediglich in Mandarin oder der deutschen Synchronisationsfassung, was letzterer deutlich an Authentizität kostet.
Fazit
„Meine Kindheit im Alten Peking“ ist keine faktenbasierte Geschichtsstunde, sondern ein kleiner, sehr subjektiver Einblick ins Leben einer munteren Heranwachsenden im China vor hundert Jahren. Und das ist vor dem Hintergrund der Historie mal aufregend und geheimnisvoll, manchmal jedoch auch alltäglich ereignisarm.
Autor: Paul Seidel