7.0

MB-Kritik

Meeres Stille 2013

Drama – Germany

7.0

Inhalt

Der Familienurlaub in einem ruhigen Haus am Meer entwickelt sich für Helen, ihren Mann Johannes und ihre Tochter Frances zu einem einschneidenden Wendepunkt in ihrem Leben. Die Vergangenheit kocht in der Erinnerung hoch und ein dubioser Fremder bringt die anfängliche Ruhe aus dem Gleichgewicht. Vergangene Taten und ihre Konsequenzen machen sich bemerkbar und zeigen, dass die Geschichten zweier Familien eng miteinander verflochten sind.


Kritik

Erinnerungsfetzen und das Mysterium tosender Taubheit

Es gibt Filme, die sich über weite Strecken hinweg dem Zuschauer als Rätsel darstellen. Die ihm eine Figurenkonstellation vorstellen, zu Beginn herzlich wenig über die einzelnen Charaktere verlauten lassen und mit einer alltäglichen Ausgangssituation aufwarten. Dabei liegt eine gewisse Spannung in der Luft, eine Atmosphäre, die dem Zuschauer das Wort „Konflikt” förmlich ins Gesicht schleudert und ihn gleichzeitig mit einem ordentlichen Aufguss an Realität und Nüchternheit für sich einzunehmen vermag. Dann scheint das Narrativ zu stocken, das Publikum wird durch geschickt gelegte Brotkrumen am Ball gehalten, doch das Mosaik will sich einfach nicht zu einem Gesamtbild fügen. Des Rätsels Lösung entpuppt sich im Folgenden als schleichender Prozess, mal verwirrend, mal erleuchtend. Genau so ein Film ist Juliane Fezers Erstlingswerk „Meeres Stille” auch.

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Stefan Beuse, schrieb und inszenierte Juliane Fezer das Psychodrama rund um das Schicksal zweier Familien. Im Detail dreht es sich um die Familie Sander, die einen ruhigen Urlaub am Meer genießen möchte, dabei aber die Rechnung ohne das Mysterium der menschlichen Psyche gemacht hat. Helen Sander (Charlotte Munck) wird von plagenden Flashbacks heimgesucht, die sie innerlich aufwühlen und ruhelos durch die trostlosen Kulissen des Ferienhauses und der menschenleeren Strände irren lassen. Hinzu kommt, dass sie seltsame Taubheitsanfälle in den Händen verspürtund sich durch die Anwesenheit eines Fremden (Christoph Gawenda) in ihrer Privatsphäre bedrängt fühlt. Ihrem Mann Johannes (Christoph Grunert) misslingt das Überbringen einer frohen Botschaft gründlich, was nicht gerade im positiven Sinne das Beisammensein der Familie beeinflusst. Frances, die Tochter des Paares (Nadja Bobyleva), weiß nichts mit den absonderlichen Anwandlungen ihrer Mutter anzufangenund flüchtet sich in die Fantasiewelten ihrer geistigen Ergüsse, die sie per Schreibmaschine zu Papier bringt. Unter diesen Umständen steuern die drei auf einen Konflikt zu, der die Familienbande auf die Probe stellt und die Vergangenheit zum Leben erweckt.

In stoischen Bildern von kristalliner Schönheit fängt die Regisseurin gekonnt die ambivalente Stimmungslage der Charaktere ein. Jede Aufnahme wirkt wie ein mit Weitsicht festgehaltenes Stillleben, das die Faszination der einfachen Dinge des Alltags zelebriert: Ein ausgetrockneter Pool im Garten, dessen rostiges Treppengeländer einsam in die Höhe ragt, oder zwei Menschen, die in ein Gespräch vertieft auf Plastikstühlen in der Brandung des Meeres sitzen. Die glasklare Reinheit der Aufnahmen stellt sich als metaphorischer Gegensatz zu dem mehrmals verwendeten Bild zerbrochenen Glases dar, dem im inhaltlichen Zusammenhang des Films eine besondere Bedeutung beigemessen wird.

Die bereits erwähnten Mosaikstücke, die nur langsam zur Aufdeckung des Rätsels um die Familie führen, tragen zeitweise zu einem unbefriedigenden Gefühl beim Zuschauer bei. Auch wenn sich gegen Ende alles zu einem nachvollziehbaren Psychogramm zusammenfügt, bleiben Fragen offen, die auf Lücken und Unebenheiten im Mosaikbild oder doch jedenfalls in der Fähigkeit des Films, den Zuschauer beim Zusammenfügen mitzunehmen, hinweisen. Doch die Quintessenz bleibt unversehrt und authentisch, wozu Charlotte Munck einen nicht unerheblichen Beitrag leistet. Ihre Interpretation einer von der Vergangenheit gejagten Frau mit all ihren fragilen und traumabehafteten Facetten ist faszinierend und erschreckend zugleich. Mit dieser darstellerischen Leistung sollte sie sich den Weg für ihre weitere Zukunft als Schauspielerin geebnet haben. Gleiches gilt in diesem Fall auch für die Regisseurin und Drehbuchautorin Juliane Fezer, der ein solider und hochkreativer Debütfilm gelungen ist.

So nimmt „Meeres Stille” den Zuschauer mit auf eine Reise in die Kollektivpsyche einer Familie, die unter Erinnerungsfetzen und fast vergessenen Tragödien zu leiden hat. Das Tosen des Meeres unterstreicht dabei das Gefühl besinnungsloser Taubheit und Betroffenheit. Doch Konflikte bieten Wachstumspotenzial und das Meer reinigt letztendlich die Wunden.

Fazit

Mit „Meeres Stille” schafft es Juliane Fezer durchaus, auf sich aufmerksam zu machen. Sie nutzt das Potenzial der Buchvorlage und inszeniert einen psychologischen Strudel, der nicht nur die Charaktere in die Untiefen zu zerren droht, sondern auch das Publikum mitzureißen versteht. Ein präzises, stilvolles Kunstwerk, das sich nicht durch seine kleinen Makel beirren lässt.

Autor: Jonas Göken
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.