Mit Mädchen, Mädchen lieferte der damals 30jährige Roger Fritz sein Spielfilmdebüt als Regisseur und (Co-)Autor, sowie gleichzeitig den Auftakt seiner „Mädchen“-Trilogie, welche 1969 mit Häschen in der Grube fortgesetzt und ein Jahr darauf in Mädchen: Mit Gewalt seinen radikalen Abschluss fand. Seine weitere Karriere verlief ziemlich unspektakulär. Mit Frankfurt Kaiserstraße folgte 1981 nur noch ein weitere Regiearbeit für die große Leinwand, sonst hielt er sich mit wenigen TV-Jobs als Regisseur, Produzent und Kleindarsteller über Wasser. Auch wenn sein filmisches Schaffen selbst heutzutage nicht sonderlich prominent ist, genießt es inzwischen immerhin einen verhältnismäßig guten Ruf. Zu seiner Zeit war das überwiegend noch ganz anders.
Die damalige Kritik ließ kaum ein gutes Haar an Mädchen, Mädchen. Gelobt wurde maximal die optisch ansprechende Inszenierung, der Fritz‘ Vorkenntnisse als professioneller Fotograph deutlich zu Gute kam. Inhaltlich wurde sein Werk nicht nur als „Armutszeugnis“ bezeichnet, sondern gar unterstellt, dass [...] „die Standpunktlosigkeit des Autor-Regisseurs, der den anvisierten Konflikten ausweicht, die Handlungen seiner Personen ungenügend, psychologisch begründet und vor allem den gesellschaftlichen Hintergrund sträflich vernachlässigt. So entsteht ein Film von erschreckender Oberflächlichkeit.“ [...] (Zitat Film-Dienst). Wenn etwas oberflächlich ist, dann wohl eher dieses unreflektierter Urteil. Was sicherlich stimmt, ist das Mädchen, Mädchen über eine augenscheinlich recht dünne Geschichte verfügt bzw. den Plot nicht mit übermäßig vielen Details ausschmückt.
Die (noch) minderjährige Andrea (Helga Anders, Der Mörderclub von Brooklyn, damals auch mit Roger Fritz verheiratet) verliebt sich in Junior (Jürgen Jung, Bübchen). Eigentlich keine große Sache, wäre Junior nicht der Sohn von Ernst (Hellmut Lange, Patton – Rebell in Uniform). Mit dem hatte Andrea eine verbotene Affäre. Als diese aufflog, musste er wegen Verführung Minderjähriger in den Knast, sie in eine Erziehungsanstalt. Nun ist sie wieder draußen, wird aber auf dem Heimweg zufällig von dem freundlichen (wenn auch etwas zudringlichen) LKW-Fahrer Schorsch (Klaus Löwitsch, Welt am Draht) an dessen neuen Arbeitsplatz abgesetzt: Der Steinbruch, an dem die Firma von Ernst ansässig ist. Junior schmeißt in der Abwesenheit seines Vaters den Laden und hat ihn erstaunlich gut im Griff. Die Geschäfte laufen und die Mitarbeiter genießen die lockere, kumpelhafte Atmosphäre. Andrea und Junior fühlen sich mit der Situation zunächst sichtlich unwohl, sich gleichzeitig von Beginn an aber auch merkwürdig, gegenseitig angezogen. Sie verlieben sich, was besonders bei den dienstälteren Angestellten wie dem Vorarbeiter oder der Haushälterin für Kopfschütteln sorgt. Schließlich können diese sich noch gut an Andrea erinnern und wissen genau, warum der Chef seitdem hinter schwedischen Gardinen sitzt. Dessen Rückkehr steht jedoch unmittelbar bevor, was die Situation latent nervös gestaltet.
Die damaligen Kritikpunkte an Roger Fritz’s Erstlingswerk sind dahingehend völlig haltlos, da er sich sehr wohl für die Psychologie seiner Figuren und ihr daraus resultierend Handeln interessiert und sogar noch viel mehr den gesellschaftlichen Rahmen in den Vordergrund rückt. Was er nicht tut, ist diese Dinge oberlehrerhaft und plakativ anzunageln, sondern vom Zuschauer einfordert, sich über das Gezeigte Gedanken zu machen, Zusammenhänge und Gleichnisse zu begreifen und darin ein sehr präzises, kritisches Generationsportrait zu entdecken. Andrea – ein leichtes oder sogar gefallenes Mädchen – kommt mit ihrer schwierigen Rolle nicht klar. Ist körperlich und emotional längst kein Kind mehr, will aber gleichzeitig keinerlei Verantwortung übernehmen und zieht sich immer dann in diese kindliche Unschuld zurück, wenn sie mit „erwachsenen“ Konflikten konfrontiert ist. Sucht das Abenteuer, aber scheut die Konsequenzen und jeder Form der Konfrontation. Junior wurde früh und unfreiwillig in die Erwachsenenrolle gedrängt. Wollte lieber das süße, wilde Studentenleben auskosten, musste aber den Familienbetrieb übernehmen – wegen Andrea. Das wirft er ihr nie vor, nicht mal insgeheim, aber das charakterisiert die beiden ziemlich exakt. Sie flüchtet vor der vollständigen Adoleszenz, sowie vor der Prüderie der neuen Bundesrepublik. Vor den Kittelschürzen und den Nachbarn, die vorwurfsvoll vom Fensterbrett gaffen. Er sehnt sich nach der Unbeschwertheit. Nach der spontanen, intuitiven, orientierungslosen Jugend, die bei ihm abrupt endete. Beides funktioniert nur in diesem kurzen Zeitfenster. Bevor der Ernst (des Lebens) wieder vor der Tür steht. Als es soweit ist droht die große Eskalation, wird sogar geschickt zu einem frühen Zeitpunkt vorbereitet, am Ende kommt jedoch alles anders.
Wie zu Beginn ist das schnelle Klimpern der Löffel das einzige Geräusch bei einem Dinner, welches ein unangenehmes Schweigen überspielen muss. Diesmal ist es jedoch eine völlig andere Situation. Vater ist wieder Daheim und anstatt des großen Aufbegehrens fügen sich wieder alle in ihren Rollen. Sohnemann möchte ihm die Meinung geigen und vor allem seine „Besitzansprüche“ gelten machen, letztlich bleibt es bei einem kurzen, innerlichen Aufzucken, was vom selbstbewussten Lebemann nicht mal wahrgenommen wird. Dieser ist sofort wieder der (un)charmante Mäuschen-Popoklaps-Millionär, reißt alles ohne wenn und aber an sich und hinterfragt nicht mal ernsthaft, warum sein Püppchen zufällig auch wieder da ist. Natürlich wollte sie ihn überraschen. Was tut sie? Drei Mal darf man raten. Der Weg führt zurück auf den Beifahrersitz von Schorsch. Zurück zu den Kittelschürzen. Das Leben geht weiter, als wäre nie etwas gewesen. In einem optisch wie akustisch erstaunlich vorzüglichen Rahmen gelingt Roger Fritz mit Mädchen, Mädchen ein ungemein dynamisches, lebendiges und aneckendes Coming-of-Age-Zeitgemälde, das den Generationenkonflikt hervorragend wiederspiegelt und mit einer beinah pessimistischen Aussage versieht.