Zwischen 1967 und 1981 brachte es der gebürtige Mannheimer Roger Fritz (Frankfurt Kaiserstraße) nur auf vier Kinoregiearbeiten, die ihrer Zeit auch keine sonderlich hohe Wertschätzung zu Teil wurden. Rückblickend muss er aber zwingend als einer der spannendsten, unabhängigen Filmemacher des deutschen Nachkriegskinos bezeichnet werden, der leider das Pech hatte, nicht wie eine Werner Herzog (Aguirre, der Zorn Gottes) oder Rainer Werner Fassbinder (Angst essen Seele auf) auf dem Höhepunkt seiner Kunst wirklich entdeckt zu werden. Das Herzstück seines Schaffens war die sogenannte Mädchen-Trilogie, die ihren Anfang 1967 mit Mädchen, Mädchen nahm, nun (1969) mit Häschen in der Grube fortgesetzt wurde und ein Jahr darauf mit Mädchen: Mit Gewalt ihren Abschluss fand. In allen drei Filmen spielt seine damalige Lebensgefährtin Helga Anders (Schreie in der Nacht) die Hauptrolle und alle handeln sie von sexualisierter Gewalt älterer Männer gegenüber jungen Frauen an der Grenze zur Adoleszenz. Gleichwohl halten sie alle der oberflächlich heilen, aber eigentlich unendlich prüden und immer noch längst nicht aufgeklärten deutschen Gesellschaft am Ende der Generation Wirtschaftswunder einen unangenehmen Spiegel vor, der damals so gar nicht wahrgenommen wurde und durch die aus heutiger Sicht völlig absurden Kritik an seinem Schaffen sein Ziel eigentlich erst recht erreichte. Das hässliche Gesicht hinter der gutbürgerlichen Biedermeier-Gesellschaft entblößen bzw. durch (die Reaktion auf) seine Filme dafür zu sorgen, dass es sich selbst bloßstellt.
Häschen in der Grube erzählt eine abscheuliche Geschichte von sexuellem Missbrauch innerhalb der eigenen (Patchwork)Familie, was er aber unter jenem spießig-gutbürgerlichen Mantel versteckt. Obwohl: eigentlich tut er das gar nicht. Schon zu Beginn ist überdeutlich, was in dieser befremdlich-abstoßenden Dreiecksbeziehung vor sich geht. Schon bei ihrer Anreise zu einem Musikfestival ins italienische Spoleto beobachtet Mutter Francine (Françoise Prévost, Außergewöhnliche Geschichten), wie ihre heranwachsende Tochter Leslie (Helga Anders) ihren Kopf in den Schoß ihres Stiefvaters Maurice (Anthony Steel, Mord im Spiegel) kuschelt. Dessen kurzer Blick zurück erwidert einen mehr oder weniger geduldeten bzw. notgedrungen akzeptierten, aber niemals direkt ausgesprochenen Tabubruch. Auch in der Folge erscheint alles wie in einer malerisch-verträumten Urlaubskatalog-Romantik, wenn der privilegierten High-Society-Familie quasi der gebührende, rote Teppich in Form der beinah unterwürfigen Anerkennung des gemeinen Volkes bei ihrer Ankunft in ihrem Domizil ausgerollt wird. Maurice ist als Dirigent ein gefeierter Star bei dem ansässigen Musikfestivals, Leslie gehört mit ihrer Ballett-Gruppe zum Ensemble. Francine ist nur schmückendes, flankierendes Beiwerk. Soll und muss den Schein der heilen Familienwelt wahren, während der fürsorgliche Stiefpapa nicht nur jede sich bietende Situation ausnutzt, um sich seiner Ziehtochter an der Kante zur körperlichen Grenzüberschreitung zu nähern, sondern auch noch abends direkt und ganz unverblümt unter deren Bettdecke zu huschen – während Francine nur die Rolle der schweigend-unterwürfigen Statisten gebührt.
Von Maurice gezielt abgeschirmt und in diesem toxischen, angeblich liebevollen und behütenden Konstrukt gefangen gehalten, knüpft Leslie in dem neuen Rahmen erstmals Kontakt zu etwa Gleichaltrigen. In erster Linie zu einem alternativen Künstlerkollektiv und ganz speziell zu Brian (Ray Lovelock, La settima donna). Da Maurice langsam die Zügel entgleiten versucht er zunächst, eine notgedrungene Zweckgemeinschaft zu etablieren, was in einem bezeichnend-bizarren Strandausflug praktisch eskaliert. Wie alles in diesem Film sehr subtil und dennoch überdeutlich. Danach versucht er die Beziehung der beiden konsequent zu unterbinden, was natürlich erstmal keine Wirkung zeigt. Bis Brian selbst direkt Zeuge des abnormen Verhältnisses von Stiefvater- und Tochter wird. Er reagiert geschockt und statt einzuschreiten, folgt tatsächlich ein Entfremdungsprozess, bei dem lange nicht klar ist, worin diese bizarre Situation schlussendlich münden wird.
Dass Häschen in der Grube damals kaum in seinem Anliegen verstanden und teilweise sogar als „Schmuddel-Film“ abgestraft wurde spricht Bände darüber, wie unglaublich wichtig und brandaktuell er eigentlich seiner Zeit war. Erzählt wird nicht nur eine Coming-of-Age-Story, wird nicht nur ein krasser Clash von Generationen und Weltanschauungen skizziert, sondern ganz besonders wird mit den jeweiligen Perspektiven gespielt, so dass es seinem Publikum abverlangt, bewusst Stellung zu beziehen. Denn eigentlich wird das Geschehen überwiegend aus Täter-Perspektive erzählt. Wir erleben und folgen von Anfang an diesem schon längst nicht mehr kritisch hinterfragten, nicht nur streng patriarchischen, sondern tatsächlich krankhaft-perversen Familien-Albtraum, der aber nicht aggressiv-plakativ als solcher präsentiert wird. Es gibt keine offensichtliche Gewaltausübung, keine reißerischen Elemente und da wir es aus dem Blickwinkel der typisch-deutschen Mittel- bis Oberschicht der späten 60er betrachten müssen, spiegelt es in vielerlei Hinsicht wohl auch deren Wertesystem wider. Brian und seine Truppe von Hippies sind nur arbeitsscheu, drogensüchtige Penner, während Maurice, Francine und Leslie den deutschen Traum einer liebevollen Wohlstandsfamilie im Italien-Urlaub repräsentieren. Das da vielleicht etwas sehr liebevoll gekuschelt wird, ist vermutlich nur Kunde einer ausgeprägten Vater-Tochter-Beziehung.
Natürlich will das dieser Film nicht suggerieren und stellt es immer wieder sehr deutlich und brutal-schmerzhaft dar, aber eben so clever, dass er vermutlich viele der hier angeprangerten Weggucker und damit mutmaßlichen Mittäter offen bloßstellt. Wer das hier Gezeigte als primitiv, lüstern oder banal abtut, hat eindeutig nicht die Intention verstanden und müsste sich zwingend selbst hinterfragen. Sehr gezielt werden nicht Gut-und-Böse, Falsch-und-Richtig mit Signalfarben angepinselt, sondern das Publikum als so reflektiert eingeschätzt (oder angepeilt), dass so etwas gar kontraproduktiv wäre. Vermutlich (oder teilweise sogar nachweislich) geschah das damals nicht flächendeckend und somit erreichte Roger Fritz über diesen Umweg doch sein Ziel. Indem er eine Diskussion anstößt und die Kritiker mit den eigenen Waffen schlägt. Dem enorm zuträglich ist auch die diesbezüglich praktisch ambivalente Inszenierung, die mit ihrer wunderschönen und trügerischen Bildsprache wie der harmonischen Soundkulisse eigentlich – genau wie der Plot – etwas vortäuscht, was faktisch nur Fassade ist. Dem Ganzen eigentlich nur die Krone aufsetzt und in seinem Zynismus nur noch bestärkt. Das Ende ist hingegen in seiner vermeidlichen Schlichtheit so stark und eindeutig, dass es in der präzisen Kürze und Konsequenz vielleicht sogar untergehen könnte. Aber auch darin positioniert sich Häschen in der Grube leidglich nur selbstbewusst als ein Film, der sich nicht erklären muss, sondern sich selbst erklären sollte – am Ende steht das Publikum.