Nun aber wirklich. Das Spider-Man-Universum von Sony will endlich auch abseits der Hauptfilme von Regisseur Jon Watts richtig Fahrt aufnehmen. Während der erste Venom noch vergessenswerte Unterhaltung bot, haben die Fortsetzungen und insbesondere Morbius mittlerweile einen beinahe legendären schlechten Ruf erlangt – und verdienen ihn auch. Mit Madame Web versucht Sony nun, das Ruder herumzureißen, die Ermüdung im Superhelden-Genre zu bekämpfen und sein eigenes Stück im MCU zu etablieren – und das auf höchstem Niveau. Angesichts der letzten Streiks ist dieser Film einer der wenigen, neben Deadpool & Wolverine sowie Sonys Kraven The Hunter, der Superkräfte 2024 in die Kinos bringt. In einer Zeit, in der sich Superheldenfilme mit Capes, Origin-Geschichten und Skybeams in den letzten Jahren gegenseitig kannibalisiert haben, scheint es aktuell genügend Raum zu bieten, damit das Superhelden-Kino wieder frisch durchatmen kann.
Tatsächlich geht Madame Web einige Dinge anders an. Es gibt weit weniger Spektakel, und es wäre unehrlich zu behaupten, dass der Film von Regisseurin S.J. Clarkson, die zuvor im Serienbereich tätig war, mehr seine Effekte als seine Figuren ins Rampenlicht rückt. Im direkten Vergleich wirkt der Titel deutlich schlanker, was an sich nicht schlecht ist. Dennoch ist es kaum als erfrischend zu mutig zu bezeichnen, was Sony mit der Titelfigur angestellt hat. Während die Figur in den Comics oft als ältere, nicht unbedingt gutmütige, blinde Seherin dargestellt wird, muss sie in der Filmadaption natürlich eine junge, athletische Heldin sein. Sony hält weiterhin an der Darstellung ihrer Personen aus dem Spidey-Kosmos als Anti-Helden fest, bei denen das "Anti" jedoch zunehmend verblasst und nur noch klein in dicken Klammern steht.
Aber sei's drum, bekommen wir halt wieder eine gängige Origin-Geschichte über die Sehnerven gezogen. Eine, die erzählerisch jedoch so dumpf, erlahmend und frei von jeglicher Raffinesse abgespult wird, dass selbst krasseste Superkräfte innerhalb des Films so lustlos abgehandelt werden, als würde das, was wir auf der Leinwand sehen, nicht mehr als eine Fließbandproduktion darstellen.
Ein Vergleich, der gar nicht so weit hergeholt ist. Vor allem bei den Charakteren ist es schier nicht glaubhaft, dass hier auch nur geringfügig irgendwelche Anstrengungen oder Sorgfalt hineingeflossen sind. Allein die Tatsache, dass Sydney Sweeney konstant im Film in einer Kostümierung herumlaufen muss, die wahrscheinlich im Fundus eines Schmuddelfilmchens unter der Kategorie "Schoolgirl" aufbewahrt wurde, spricht Bände. Ganz zu schweigen davon, dass die Charakterskizzierungen entweder nicht vorhanden sind oder so grobschlächtig, dass es wirklich auch die dunkelste Kerze auf der Torte begreift.
Niemand erwartet von Titeln wie diesen ein anspruchsvolles Kinoerlebnis, aber solch eine lobotomierende Wirkung kann dann auch nicht das erklärte Ziel gewesen sein. Madame Web scheint sein Publikum wirklich nicht für besonders clever zu erachten und hat vielleicht deswegen alles, was zumindest rudimentär für Denkanstöße sorgt, subtrahiert. Wenn man bedenkt, wie viel Talent da vor der Kamera regelrecht verschwendet wurde, könnte man fast ein wenig sauer werden, ach wenn der Film doch nur nicht so elendig egal wäre. Somit passt er sich perfekt Sonys anderen, oben bereits genannten, Spider-Man-MCU-Antihelden-Sonstwas-Universum-Filmen an.
Und keine Sorge, der Film, der übrigens 2003 spielt, nutzt jede Gelegenheit, um einem klar zu machen, wo wir uns befinden. Wer also Spaß daran hat zu erkennen, dass Emma Roberts und Adam Scott im Film mit einer sehr wichtigen Figur des Spidey-Kosmos verwandtschaftlich verbunden sind, dürfte vielleicht ein paar wohlige Momente erfahren. Wem das aber ausreicht, darf sich mit Fug und Recht als im ungesunden Spektrum genügsam bezeichnen. Immerhin stellt Madame Web bereits recht früh eine gute Alternative vor. In einer Szene rät eine Ärztin der guten Cassandra, dass sie lieber zuhause bleiben und alte Filme schauen solle. Super Vorschlag, da gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.