Die letzte Vorstellung. Das finale Kapitel. Der Zyklus darf sich als komplettiert erweisen: Liebe auf der Flucht, das ist keinesfalls der endgültige Abschied von Francois Truffaut (Die amerikanische Nacht) aus der (Film-)Welt, dieser erfolgte vier Jahre später mit seiner gutmütigen Film-Noir-Liebeserklärung Auf Liebe und Tod. Nein, mit Liebe auf der Flucht müssen wir hingegen Lebewohl zu Truffauts Alter Ego Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud, Weekend) sagen, was gleichwohl den Umstand bewirkt, dass wir hier einen Truffaut hinter der Kamera zu erleben scheinen, der mit schwerem Herzen, mit Kloß im Hals, aber auch mit einem stolzen Funkeln in den Augen das Zepter schwingt. Und Irritationen ruft diese durchaus sentimentale Haltung seitens des begnadeten Filmemachers innerhalb der Zuschauerschaft wohl kaum auf, hat diese doch längst selbst in Erfahrung gebracht, dass man Antoine Doinel eigentlich nur lieben kann.
Vier abendfüllende Spielfilme und eine 29-minütige Episode umfasst der sogenannte Antoine-Doinel-Zyklus. Und, wie könnte es schon anders sein, natürlich ist der verheißungsvolle Abschluss, Liebe auf der Flucht, der wohl mit der größten Ausmaß an Wehmut aufgeladene Beitrag der Reihe. Die Ehe zwischen Antoine und Christine (Claude Jade, Ein Pauker zum Verlieben) ging nach fünf Jahren endgültig in die Brüche, nachdem sich Antoine mit Christines Freundin, Liliane (Dani, Eine Frauensache), aus unbeholfenen Eifersuchtsgründen zu einem kleinen Techtelmechtel hat hinreißen lassen. Natürlich aber ist der, auf seine Aktivitäten im Schlafzimmer bezogen, Wandervogel aber schon längst einer neuen Frau verfallen: Sabine (Dorothée, Mein Onkel aus Amerika). Würde an dieser Stelle doch nur nicht Colette (Marie-France Pisier, Cousin, Cousine), Antoines Flamme aus Jugendtagen, in sein Leben treten.
Die amourösen Verstrickungen in der Vita des Antoine Doinel bleiben verworren, inzwischen aber scheint der ehemalige renitente Dreikäsehoch, der nun bereits in den frühen Dreißigern angelangt ist, seine Lehren aus der charakterlichen Unbeständigkeit gezogen zu haben, die ihm seit jeher nachgesagt wird. Verdeutlicht wird dieser Aspekt dadurch, dass Francois Truffaut Rückblenden aus den wunderbaren Vorgängerteilen nutzt, von Sie küssten und sie schlugen ihn bis Tisch und Bett, und dadurch vergegenwärtigt, dass auch Antoine inzwischen an einem Punkt in seinem Leben angelangt ist, an dem er den Wert der Rekapitulation verstanden zu haben scheint: Nicht mehr länger reicht es aus, teilnahmslos in den Tag zu straucheln; es ist vielmehr an der Zeit, Taten, die man begangen und Worte, die man gesagt hat, zu überdenken, zu durchleuchten, abzuwägen und seine persönlichen Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Man könnte Liebe auf der Flucht als eine Art Erinnerungsgespinst bezeichnen, in dem Antoine Doinel seine bisherige Lebenslinie, die ein Zickzackmuster in den diegetischen Raum gestanzt hat, Revue passieren lässt. Es ist ein Kaleidoskop des emotionalen Schocks, in das Truffaut seinen Protagonisten schickt und ihn, nach gut 90-minütiger Laufzeit, endlich von der Komfortzone seiner unantastbaren Egozentrik Distanz nehmen lässt. Das Schwelgen, das Treiben, das Gleiten, das Versinken und das Besinnen, welches Antoine bei seinem Durchforsten der Vergangenheit begleitet, fügt sich auf der einen Seite sicherlich zu einem substanziellen Element zusammen, um die Figur sowie die Abenteuer des Antoine gewissenhaft abzuschließen. Leider aber erweckt Liebe auf der Flucht oftmals den wenig ungezähmten Eindruck eines Kompendium, eines Leitfadens, der dazu dient, Vergangenes aufzubereiten, ohne der Gegenwart neue Facetten abzuringen. Eine milde Ermüdung im schwebenden Erzählkonstrukt ist nicht zu verleugnen.