Inhalt
Alice ist alleinerziehende Mutter und ehrgeizige Wissenschaftlerin bei einem Unternehmen, das sich mit der Entwicklung neuer Pflanzenarten beschäftigt. Sie hat eine purpurrote Blume erschaffen, die nicht nur wunderschön ist, sondern auch eine besondere Wirkung hat: sie macht Menschen glücklich!
Obwohl die Versuchsreihen im Labor noch nicht abgeschlossen sind, bringt Alice ihrem Sohn Joe eine der Blumen mit nach Hause. Sie nennen sie „Little Joe“. Während die Blume prächtig gedeiht, wird Alices Verdacht immer größer, dass die von ihr geschaffene Pflanze gefährliche Nebenwirkungen hat.
Kritik
Kann die Wissenschaft unsere Emotionen ersetzen? Dies scheint im kontemporären Science Fiction-Film die vielleicht höchste Frage zu sein, beschäftigen sich doch einige Vertreter des Genres aus den letzten Jahren mit ihr: In Spike Jonzes Her und Denis Villeneuves Blade Runner 2049 ersetzten digitale Intelligenzen den Liebespartner und Claire DenisHigh Life beschäftigt sich explizit mit der Frage, inwiefern Körperlichkeit bei der Fortpflanzung überwunden werden kann. Alle Filme formulieren schließlich die These, dass der Mensch langsam beginnt, sich selbst abzuschaffen. Jessica Hausner (Amour fou) greift in ihrem Film Little Joe diese These nun auf. Eine, in Massen gezüchtete, genetisch manipulierte Pflanze soll den Menschen bedingungslos glücklich machen.
Im Verlauf des Filmes verfallen die zahlreichen Wissenschaftler der Firma Planthouse Biotechnologies der Blüte zum Opfer. Plötzlich verhalten sie sich anders, wirken deutlich ruhiger und scheinen sämtliche ihrer markanten Charakterzüge langsam abzulegen. Als die Züchterin Alice (Emily Beecham, Hail, Caesar!) schließlich besagte Veränderungen bei ihrem Sohn Joe (Kit Connor, Rocketman), nach welchem sie die Pflanze getauft hatte, bemerkt, wird sie misstrauisch und stößt bei ihren Mitarbeitern aber auf immer mehr Unverständnis. Wer den Pollen der tückischen Pflanze verfallen ist, verteidigt jene bis aufs Äußerste, bis es irgendwann so scheint als hätte die Pflanze ihre Persönlichkeit ersetzt.
Inwiefern spielt es eine Rolle, ob Gefühle echt oder wissenschaftlich gezüchtet sind? Hausner nähert sich dieser Frage sehr langsam und fokussiert sich zunächst sehr auf die Dynamiken zwischen den Charakteren: Neben der Beziehung zu ihrem Sohn macht Alice vor allem ihr aufdringlicher Mitarbeiter Chris (Ben Wishaw, Cloud Atlas) zu schaffen, der daran scheitert, dass Alice Gefühle auf „normale“ Weise für ihn entwickelt. Das Problem an Hausners Herangehensweise ist nur das alle Figuren mangelhaft skizziert sind und sich mehr nach Schablonen denn als runde Charaktere anfühlen. In ihrem Film klafft eine aggressive Emotionslosigkeit, die den Film in keiner Weise bereichert.
Im Gegenteil: Da die Figuren schon von Anfang an über weite Strecken einer emotionalen Aufladung missen verkommen alle Fragen des Filmes irgendwann zur Behauptung. Die These, es sei egal ob Gefühle chemisch erzeugt sind, spielt so selbst keine Rolle mehr, da sowieso jeder in dieser Welt aufrichtige Gefühle verlernt zu haben scheint. Hausner gelingt es nicht, die sterile Gesellschaft ausreichend zu skizzieren. Anders als, zum Beispiel, Yorgos Lanthimos (The Lobster), in dessen Filmen emotionale Kälte dem Abdriften ins Absurde dienen und entlarvend wirken kann, führen die Dialoge und Bilder in Little Joe nur in ein ernüchterndes Vakuum.
Zur selben Zeit inszeniert Hausner ihren Film in derselben entschlackten Optik. Die Wände und Gänge der Räume sind meisten weiß, die Dekoration spärlich, als wäre alles ein gigantischer Ikea-Katalog. Da, aus Rücksicht auf die uninteressanten Figuren, die philosophischen Fragen ihres Filmes immer mehr in den Hintergrund rücken, drückt die Leere der Bilder weder Abwesenheit, noch Unbehagen aus und verkommt zu reinem Selbstzweck. Sicherlich stellt Hausner Fragen, die es Wert sind behandelt zu werden, aber die inszenatorischen Schwächen des Filmes reduzieren diese lediglich auf eine (schlechte) Black Mirror-Episode.
Fazit
„Little Joe“ ist ein ärgerlicher Film, weil tief in ihm ein brauchbarer Diskus über den modernen Menschen gesteckt hätte. Hausner scheint sich aber damit zu begnügen, philosophische Fragen einfach in den Raum zu werfen, statt sie auszuformulieren oder zu Ende zu denken. Das Ergebnis ist ein, optisch vielleicht gekonntes, aber letztendlich uninteressantes Erlebnis.
Autor: Jakob Jurisch