Wenn man es böse mit Paul Schrader (The Card Counter) meinen wollte, könnte man ihm vorhalten, er würde ein und die selbe Geschichte immer wieder variieren. Könnte man aber auch, wenn man ihm wohlwollend gegenübersteht. Schrader macht selbst keinen Hehl daraus, dass es sich bei Light Sleeper mehr oder weniger um die 1990er Version seiner vorherigen Arbeiten Taxi Driver (1976, unter der Regie von Martin Scorsese) und Ein Mann für gewisse Stunden (1980) handelt. Eine verlorene, selbstzerstörerische Seele, orientierungslos taumelnd im nächtlichen Großstadtdschungel New York. Laut Schrader war diese Figur in seinen Zwanzigern wütend, in seinen Dreißigern narzisstisch und nun, in seinen Vierzigern, besorgt. Eine treffende Selbstkategorisierung, die aber unweigerlich Light Sleeper auch in den direkten Vergleich zwingt. Ob ihm das gut tut oder nicht, aber es bleibt nicht nur deswegen kaum aus, zu ersichtlich sind die vielen (gewollten) Parallelen.
John LeTour (Willem Dafoe, The Northman) ist schlaflos in New York. Den Drogen hat er zwar selbst schon vor zwei Jahren abgeschworen, nicht aber deren Szene. Seinen Lebensunterhalt verdient er nach wie vor als Kurier und rechte Hand von High Society Connection Ann (Susan Sarandon, Jolt). Zu ihrem Kundenkreis zählen Börsenmakler, Geschäftsmänner und andere High Roller, persönliche Hausbesuche gehören zum Service. Eigentlich müssten sie sich damit eine goldene Nase verdienen, doch aus nicht näher erläuterten Gründen leben sie selbst in heruntergekommenen Buden und haben kaum etwas auf der hohen Kante. Wie das Geld reinkommt, so schnell wird es wieder sinnlos beim Brunch im Luxus-Restaurant verbraten. An den nächsten Morgen denkt hier niemand, denn auch sonst scheint sich alles nur from dusk till dawn abzuspielen. LeTour strauchelt – wie einst schon Travis Bickle – Nacht für Nacht durch die verregneten Straßen des Big Apple, nur das er im Gegensatz zu seinem Alter Ego lange keine akute, brodelnden Gewaltfantasien hegt.
Vielmehr ist er von handfesten Existenzängsten geplagt. Seine Chefin und Freundin Ann plant in naher Zukunft einen ernsthaften Ausstieg aus dem Business, er selbst unbewusst wohl auch schon länger, allerdings ohne konkrete Pläne danach und nun unter Zugzwang. Auch deshalb bekommt er kein Auge mehr zu und flüchtet sich zusehend in seinen Job. In dem er andere mit Drogen versorgt und sie trotzdem irgendwie vor den Folgen bewahren will, an denen er selbst fast zu Grunde gegangen ist. Ein seltsamer Zwiespalt, der wieder richtig aufkeimt, als er zufällig seine alte Liebe Marianne (Dana Delany, Tombstone) wiedertrifft. Diese möchte den Kontakt zu ihm bewusst vermeiden, ist er doch unweigerlich gekoppelt an ihre gemeinsame, schlimme Drogenvergangenheit, von der sie sich erfolgreich distanziert hat. In einer bemerkenswerten Szene inszeniert Paul Schrader ein Gespräch der beiden bewusst aus einer Perspektive, in der eine Säule sie unüberwindbar voneinander trennt, obwohl sie an einem Tisch sitzen und sich eigentlich zum ersten Mal in Jahren wieder annähern. Zu deutlich ist ihre Distanz zueinander und gleichzeitig kann es als Warnung interpretiert werden. Im konsequenten Gegensatz dazu ein Moment am Ende, als zwischen Dafoe und Sarandon in einer ähnlichen Szene nur eine leicht zu überwindende Barriere steht, die sie aber praktisch viel effektiver voneinander trennt. Allerdings hier noch eine Chance auf Besserung besteht.
Light Sleeper ist ein waschechter Paul Schrader, der ein sehnsüchtig-trauriges Poem eines Einzelgängers erzählt, der eigentlich nur geliebt werden möchte. Längst aber mit Haut und Haar versunken ist im Strudel der Nacht und einem New York, an dessen Ecken sich unübersehbar der Müll immer weiter auftürmt. Erst, als LeTour seine Waffe lädt und sich auf den Weg zum Showdown begibt, beginnt auch endlich jemand den Unrat zu beseitigen. Das ist nicht wirklich subtil, aber schon recht treffend. Die Taxi Driver Referenzen sind sowohl Fluch und Segen zugleich, denn natürlich kann der Film niemals der Wucht, Klasse und nachhaltiger Wirkung dieses Jahrhundertwerks auch nur entfernt das Wasser reichen. Die melancholisch-destruktive Grundstimmung funktioniert partiell aber ähnlich gut, beflügelt durch eine abermals hingebungsvolle Perfomance von Vollblutdarsteller Willem Dafoe. Manche Dialoge wirken im entscheidenden Moment leider sehr gekünstelt und der der Soundtrack von Michael Been etwas arg penetrant eingesetzt (ursprünglich war Bob Dylan geplant, man konnte sich nur nicht einigen), so dass Light Sleeper mehr wie ein Echo einer schon mal grandios erzählten Geschichte mehr oder weniger verhalt. Dennoch über eine ganz eigene Faszination verfügt, die man aber sehr deutlich in Relation setzen muss.