Mit Spazierstock, Charme und Melone. Genauso wird man Charlie Chaplin (Goldrausch) ewiglich in Erinnerung behalten. Von den zu großen Schuhen, der kartoffelsackförmigen Hose und dem zu kleinen Sakko, dessen untere Knöpfe immerzu offenstehen, ganz zu schweigen. Das Erscheinungsbild von Chaplin ist indes nicht einfach nur zum gebräuchlichen Karnevalszwirn avanciert; alles, was seine ikonischen Auftritte in weit über 60 Kurz- und abendfüllenden Spielfilmen ausgemacht hat, nicht nur die Kleidung, sondern genauso Mimik, Gestik und Positur, sind längst als unumstößlicher Bestandteil der Populärkultur zu werten. Zusammengefasst: Charlie Chaplin ist eine Legende und sicherlich einer der wichtigsten (und einflussreichsten) Filmemacher des amerikanischen Kinos. Umso tragischer, dass sein Schaffen oftmals auf den (zweifelsohne großartige) flammenden Appell an den Weltfrieden aus Der große Diktator reduziert wird.
Als ebenso begeisternde Seherfahrung gestaltet sich auch der 1931 entstandene Lichter der Großstadt. Legendär geworden ist hier natürlich die herausragend choreographische Boxkampf-Sequenz, in der Chaplin eine brüllend komische Slapstick-Revue zu ganz großem Kino erhebt, in dem er sein Genie dahingehend aufzeigt, Musik, Montage und Schauspiel in berauschendem Einklang aufeinander abzustimmen. Wer jedoch immer noch dem Irrglaube erliegt, Charlie Chaplin stünde einzig und allein für vortreffliche Komik, der wird mit Lichter der Großstadt eines Besseren belehrt: Die kunstschöpfende Zeitlosigkeit Chaplins destilliert sich nämlich aus der adäquaten Wechselwirkung von aufsprudelndem Humor und bewegender Tragik. Und so fungiert dieser Auftritt des kleinen Tramps nicht nur als Erschütterungstest für das Zwerchfell, Lichter der Großstadt formuliert auch eine wahrhaft einnehmende Sozial-, Zeit und Gesellschaftskritik.
Freilich beginnt Lichter der Großstadt mit einem zünftigen Lacher: In einem Park der Stadt soll ein neues Denkmal eingeweiht werden. Die anwesenden Herrschaften quaken und quietschen ein unverständlich-grelles Bla Bla vor sich hin, was natürlich als ein von Chaplin höhnisch artikulierter Affront gegen den florierenden Tonfilm zu verstehen ist. Als sich das Denkmal dann vor den Zuschauerreihen lüftet, offenbart sich auch der schlafende Tramp, der auf einer der Statuen sein Nachtlager errichtet hat und im Anschluss sichtbare Mühe damit hat, bestmöglich von dem martialischen Marmorbauwerk hinabzusteigen (ein Schwert, dessen Schneide sich durch den Hosenboden des Tramps bohrt, ist da nur der Anfang). Dass in dieser Szene schon eine Gegenüberstellung des akzeptierten Bürgertums mit seinen vertriebenen Außenseitern stattfindet, ist nicht von der Hand zu weisen.
Im weiteren Verlauf der Handlung wird der Tramp ein blindes Blumenmädchen kennenlernen, an welches er schlagartig sein Herz verliert, und einen exzentrischen Millionär, der den Tramp nur dann akzeptiert, wenn er den ein oder anderen Schluck über den Durst getrunken hat. Der rote Faden von Lichter der Großstadt beläuft sich auf dem Umstand, den Tramp dabei zu beobachten, wie er versucht an Geld zu kommen, um der blinden Schönen eine Augenoperation zu ermöglichen. Und hier beginnen die entlarvenden Maßnahmen der Inszenierung zu greifen: Die sozialen Schichten scheinen in Beisammensein nur dann eine von Vorurteilen befreite Einigung zu erlauben, wenn Alkohol im Spiel ist. Der nüchterne Blick des wohlständischen Personals bleibt ein verachtender wie verleugnender – der Ausdruck eines vergletscherten Systems.
Selbstverständlich aber ist Lichter der Großstadt nicht nur bitter in seinen Anklagen, Charlie Chaplin bleibt seiner unmessbaren Herzensgüte treu und schält aus all den satirischen Anwandlungen letztlich einen wahrhaft ergreifenden Siegeszug der Menschlichkeit. Wie so häufig muss der Tramp dafür natürlich erst eine ganze Reihe an Rückschlägen wegstecken – selbst im erwähnten Boxkampf geht der Tramp letztlich auf die Bretter, obwohl ihm gleichwohl der ein oder andere Treffer gelungen ist. Das Ende allerdings ist von seltener Schönheit, ein Leuchtfeuer der Zärtlichkeit: Der Tramp darf seine Angebetete wiedertreffen. Die soziale Kluft wird im Angesicht der innigen Verbundenheit aufgehoben. Was bleibt, ist das verschmitzt-schüchterne Lächeln Chaplins und der wohltuende Gedanke, dass das Leben in dieser kaltherzigen Welt nicht nur von Illusion und Desillusion bestimmt wird.