„Wir hatten alle Träume, jetzt haben wir Krampfadern.“
Das Feuilleton ist niemals darum verlegen, den neusten Streich von Til Schweiger (Schutzengel) auch gerne auf äußerst giftige Art und Weise in seine Einzelteile zu verreißen, während das Publikum dafür sorgt, die neue, von unzähligen Förderungsanstalten unterstützte Sommer-Dramödie zum die Charts anführenden Kassenschlager zu erheben. Diese durchaus extreme Dichotomie zwischen der Kritik und der Zuschauerschaft ist weitreichend bekannt, nicht ohne Grund gibt es seit Keinohrhasen keine regulären Pressevorführungen von Schweigers Werken mehr. Die Frage, warum sich Filme wie Kokowääh, Zweiohrküken und vor allem Honig im Kopf zu derartigen Erfolgen aufschwingen konnten, bleibt in Bezug auf die zweigeteilte Wahrnehmung des Schweiger'schen Schaffens eine ungemein interessante: Welche bundesdeutschen Sehnsüchte befriedigt der gebürtige Breisgauer? Nach Klassentreffen 1.0 scheint die Antwort darauf eine ernüchternde.
Vorrang nämlich ist die neue Brachial-Klamotte von Til Schweiger reinrassiges Ego-Kino, welches es mit inbrünstiger Leidenschaft über einen Zeitraum von mehr als zwei Stunden zelebriert, mit dem Finger auf andere zeigen. Während Schweiger sich selbst als junggebliebenen Star-DJ namens Thomas Schilling inszeniert, der die Arenen zum Beben bringt und hinter der Bühne ganz lässig die Groupies Doggystyle wegknallt, haben seine Schulfreunde mit den Zeichen der Zeit zu kämpfen. Andreas (Milan Peschel, Der Hauptmann) ist pornosüchtig und wurde von seine Frau gegen einen Jüngeren eingetauscht, Nils (Samuel Finzi, HERRliche Zeiten) plagt sich mit Hämorriden herum, rät seinem Sohn zu einem neuen Haarschnitt, damit dieser sich endlich mal entschwulisiert und spielt sich vor seinen Tochter mit Vorliebe als Patriarch auf, wenn diese ihren ersten Freund mit nach Hause bringt.
Wir können also festhalten: Während Finzi und Peschel einzig und allein dafür da sind, zu gebrechlich-lächerlichen Witzfiguren degradiert zu werden, bleibt Schweigers Thomas der ewige Womanizer, der nur Probleme mit der Tochter seiner neuen Freundin (Stefanie Stappenbeck, Hotte im Paradies) bekommt, natürlich gespielt von Lilli Schweiger (Hot Dog). Diese nämlich zwängt sich dem Trio auf und reist kurzerhand einfach mit zum bevorstehenden Klassentreffen, damit sie den neuen Macker ihrer Mutter genauestens unter die Lupe nehmen kann. Selbstsucht trifft in Klassentreffen 1.0 auf nostalgische Selbstbemitleidung, die Schweiger aus seiner priviligierten Perspektive hochgradig konservativ und einfältig betrachtet. Dabei soll es hier in Wahrheit, wie immer, wenn Til das Ruder übernimmt, um die wirklich wichtigen Dinge gehen: Um Familie, Freundschaft, Liebe und Krampfadern in und um die Rosette.
Man braucht sich nicht mehr darüber auslassen, wie desaströs zerschnitten auch Klassentreffen 1.0 über die Mattscheibe stolpert, nachdem die Vorgängerwerke von Schweiger bereits bewiesen haben, dass sie weder handwerkliches Gespür für Dialog-, noch für Action-Sequenzen besitzen. In diesem Fall fußt das ungemeine Unbehagen, welches der Film in quasi jeder einzelnen Minute auslöst, auf seinem rückständigen Menschen- und Weltbild. Erste Anlaufstelle, um die richtig guten Gags zu ernten, ist für Schweiger Homosexualität: Da grinst der Uruloge schmierig in die Kamera, wenn Samuel Finzi sich einer Rektal-Untersuchung hingeben muss und der einklemmte Hodensack in der Sauna-Bank artet in einen Schein-Dreier aus, bei dem die Hausmeisterin (Cindy aus Marzahn) noch einmal darauf hinweist, dass die drei Männer ihre schwulen Aktivitäten doch bitte woanders ausleben lassen müssen.
Ohnehin ist Schweigers komödiantische Hingabe zur genitalen Körperlichkeit eine unfassbar infantile: Wenn nicht gerade Finzis bereits erwähnter Hodensack vor der Kamera herumbaumelt, dann wird sich köstlich über dessen ständig thematisierten Hämorriden amüsiert, das Rasieren von Schambehaarung zeremoniell gefeiert und nun ja, darüber debattiert, ob man einem Mann eher einen Zungenkuss oder einen Blowjob verpassen würde - um noch einmal auf die nicht einmal mehr latent vorhandene Homophobie zurückzukommen. Wenn sich Til Schweiger dann noch ganz generös erdreistet, seiner Stieftochter in spe tumbe Kalendersprüche als profunde Lebensweisheiten zu verkaufen, dann kennt die selbstbesoffene Verlogenheit von Klassentreffen 1.0 keine Grenzen mehr. In Wahrheit nämlich geht es hier nur darum, biedere Männlichkeitsvorstellung aufleben zu lassen, wo echte Kerle belehren und Frauen funktionieren. Klappt das nicht, zeigt man einfach seinen blanken Arsch. Hat schon immer geholfen.