Inhalt
Das Hochhaus am Waldrand ist bekannt für seine sorgfältig ausgewählte Hausgemeinschaft. Als ein Hund verschwindet, muss die Sicherheitsbeauftragte Anna gegen die irrationale Angst der Bewohner*innen kämpfen. Die Utopie mit Waldblick gerät schleichend aus den Fugen.
Kritik
Willi ist weg. Gekidnappt, ermordet womöglich! Und niemand hat etwas gehört oder gesehen. Das behaupten die netten Nachbarn zumindest gegenüber Willis Herrchen Gerti (Jörg Schüttauf, Lieber Thomas), dessen Aufruhr sich schleichend ausbreitet. Wer weiß, was wirklich vorgeht in den blitzsauberen Wohnungen, in deren einer Anna (Ioana Iacob, Das Leben meiner Tochter) wohnt und wacht. Sie ist Sicherheitsbeauftragte des gediegenen Hochhauses in Grünlage, in das mit Willis Verschwinden die Angst einzieht. Hier kommt nicht irgendwer rein und manche kommen nie wieder raus.
Eine davon ist Annas jugendliche Tochter Iris (Pola Geiger), die seit Willis Verschwinden das Badezimmer nicht mehr verlässt, überzeugt, sie habe den Bösen Blick. Dass Natalia Sinelnikovas sarkastische Satire ursprünglich statt der sperrigen Redewendung Iris zur Titelfigur machte, impliziert die Schlüsselrolle des Mädchens. Ihre Abkapselung imitiert im privaten Raum das Sozialverhalten der Hausbewohner. Das Wohnhaus, in das nur geprüfte Bewerber einziehen dürfen, wird zur bürgerlichen Bastion, in der sich die distinguierte Mittelschicht gegen Unterschichtsgesindel verbarrikadiert.
Letztes geschieht vorschriftsmäßig und ordentlich durch Anna, deren Stelle auch eine der Macht und des Respekts ist. Das diffuse Gefühl der Bedrohung, das Gerti und Gefolge schließlich mit Golfschläger bewaffnet durch die Grünanlagen ziehen lässt, untergräbt ihre Position in der Hausgemeinschaft. Durch deren Maske der Höflichkeit stiert das Misstrauen auf der Suche nach einem Sündenbock. Wer das sein wird, zeichnet sich ebenso früh ab wie die monotone Mutlosigkeit des in seiner satirischen Stilisierung stockenden Debüts.
Fazit
Polanskis Mieter wohnt gleich um die Ecke von Natalia Sinelnikovas Spießbürger-Schaustück. Darin wird ein Hochhaus zur Hochburg nachbarschaftlicher Bespitzelung und schnöseliger Scheinfreundlichkeit. Während die fade Inszenierung die Lage innerhalb des begrenzten Schauplatzes zum Aberwitz überspitzt, wird der gesellschaftliche Gesamtkontext systematisch ausgesperrt. Obwohl Motive wie Agoraphobie und Zutrittskontrollen Gegenwartsbezüge herausfordern, lenkt die Regisseurin ihre Kritik lieber in eine unverfängliche Richtung. Für eine effektive Auseinandersetzung mit privilegierten Ängsten ist die Paranoia-Parodie ironischerweise zu konform und ängstlich.
Autor: Lida Bach