Bevor er in der breiten Öffentlichkeit als Showrunner und Autor der gefeierten HBO-Serie True Detective bekannt wurde, bestanden die ersten künstlerischen Gehversuche von Nic Pizzolatto (The Killing) neben seiner Tätigkeit als Dozent im Schreiben von Kurzgeschichten und einem Roman. Galveston heißt das Romandebüt von Pizzolatto, das ihm bereits erste Aufmerksamkeit bescherte und jetzt, 8 Jahre nach Erscheinen, als Film realisiert wurde. Dabei fällt der Regieposten der gleichnamigen Adaption denkbar überraschend aus. Mélanie Laurent (Beginners), die als Schauspielerin beispielsweise eine Hauptrolle in Quentin Tarantinos Inglourious Basterds spielte, zeichnete sich als Regisseurin bislang vor allem durch Werke wie zum Beispiel Respire aus. In dem ebenso sensibel beobachteten wie emotional niederschmetternden Coming-of-Drama inszenierte Laurent das Innenleben einer problembehafteten Teenagerin als Sturz in den Abgrund, nach dem der Zuschauer, ähnlich wie die an Asthma leidende Hauptfigur, verzweifelt Luft holen und sich zum Weiteratmen zwingen musste.
Einer der interessantesten Aspekte an Galveston war daher im Vorfeld, wie stark Laurent die betont französische Einfühlsamkeit ihres filmischen Stils mit Pizzolattos Vorlage vereinbaren kann, die ohne philosophisch ausartende Dialoge wie in True Detective trotzdem ebenfalls der typisch dunklen, pessmistischen Neo-Noir-Handschrift des Autors entspricht. So gegensätzlich diese beiden Stilrichtungen bereits in der Theorie ausfallen, so zwiegespalten entpuppt sich auch Galveston selbst als Filmresultat. Eröffnet wird der Streifen gleich zu Beginn mit einer Hiobsbotschaft für den Protagonisten Roy Cady, die sich dieser nicht einmal vollständig anhört. Ein Blick auf die Röntgenbilder seiner Lunge sowie kurze alarmierende Worte des Arztes vor ihm genügen dem brodelnden, regelmäßig Blut hustenden Mann, um umgehend aus der Praxis zu stürmen und mit dem Auto davon zu rasen. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass eine Rolle wie diese auf Hauptdarsteller Ben Foster (360) längst wie maßgeschneidert wirkt.
Bereits zum zweiten Mal in diesem Filmjahr spielt Foster nach Leave No Trace erneut eine Figur, die ihre Worte eher widerwillig vor sich hin murmelt und von einer inneren Zerrissenheit angetrieben wird, die tiefe Konflikte unter der vorwiegend stummen Oberfläche verbergen sollen. In Galveston muss dieser von Foster gespielte Kleinkriminelle Roy schließlich ständig in Bewegung bleiben, als er von seinem Auftraggeber anfangs in einen Hinterhalt gelockt wird. Unbewaffnet soll er mit einem Partner eine Zielperson einschüchtern, bis beide plötzlich überwältigt werden und Roys Partner mit einer Kugel im Kopf endet. In der Panik der Überraschung gelingt Roy selbst die Flucht, doch nach dieser Sequenz, die Laurent ohne Schnitte in einer Einstellung inszeniert hat, ist er nicht mehr alleine. In dem als Todesfalle angelegten Haus stößt Roy auf das junge Call-Girl Raquel, die lieber Rocky genannt wird.
Gemeinsam begeben sich beide auf einen Road-Trip, der sowohl für Roy als auch Rocky eine Flucht ins Ungewisse markiert. Lange bleiben sie jedoch nicht zu zweit mit ihren persönlichen Dämonen, denn schon wenig später kehrt Rocky nach einem kurzen Besuch in ihrem Zuhause mit einem kleinen Mädchen ins Auto von Roy zurück. Bei der 3-jährigen Tiffany handelt es sich um Rockys jüngere Schwester, die neben dem Call-Girl selbst ein Symbol der unschuldigen Jugend darstellt, die in der erbarmungslosen, lebensfeindlichen Welt von Pizzolatto mit der zusätzlichen Anwesenheit des vermeintlich dem Tod geweihten Gangsters Roy einer unheilvollen Zukunft entgegensteuert. Trotz dieser vielversprechenden Figurenkonstellation, die neben Foster vor allem durch die gewohnt ungezügelte, rohe Energie von Elle Fanning (Jahrhundertfrauen) als Rocky aufgewertet wird, verweilt die Handlung von Galveston zu lange in der klischeehaften, langsamen Erzählung über den Kriminellen, der sich in Gestalt der traumatisierten jungen Frau in Not womöglich eine Form von Katharsis erhofft, während das Call-Girl ihr ganz eigenes, finsteres Geheimnis offenbaren wird.
Nur in einigen wenigen Szenen schimmern die persönlichen Bemühungen der Regisseurin durch, der Geschichte mitsamt stereotyp konstruierter Figuren, die nichtsdestotrotz Ansätze der Vielschichtigkeit erahnen lassen, zu besonderen Momenten zu verhelfen. Wenn Rocky Tiffany beispielsweise mit an den Strand nimmt, wo das kleine Mädchen zum allersten Mal die Wellen des Meeres auf der Haut spürt und im Sand spielt, oder Roy und Rocky in einer Szene kurz vor dem drastischen Finale als jeweils verloren wirkende Seelen im gemeinsamen Tanz aufleuchten, strahlt Galveston zumindest vorübergehend stärker als die bewusst extrem dunkel gehaltenen Einzelteile des bedauerlicherweise in zu vorhersehbarem Pessimismus verlaufenden Gesamtwerks.