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Pierrot le Fou ist Jean-Paul Belmondo. Dieser langweilt sich auf einem mondänen Empfang an der Seite seiner Frau in Paris, trifft seine Jugendliebe und brennt mit ihr durch. Das Drama wendet sich zu einem fulminanten Road Movie.
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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Bei all den Vorwürfen gegenüber der Arbeit und des radikalen Stils von Nouvelle Vague-Vetreter Jean-Luc Godard, die sich immer wieder darauf beziehen, wie eingebildet und belehrend Godards Filme seien, wird scheinbar eine große Kleinigkeit schnell versehentlich vergessen oder mutwillig übersehen. Nämlich jene, dass die Filme des Franzosen so wunderbar liebenswert und menschlich sein können, wenn sie denn wollen. Nicht auf eine zärtlich-humanistische Art und Weise wie das Kino von Francois Truffaut („Sie küssten und sie schlugen ihn“), sondern auf eine verspielte Art, die das Medium Film anpreist und dem Zuschauer die Sichtung des Werkes erleichtert. Natürlich trifft das bei weitem nicht auf alle Filme Godards zu - auf „Elf Uhr nachts“ jedoch durchaus.

Pierrot heißt eigentlich Ferdinand (coolste Socke von Welt: Jean-Paul Belmondo, „Außer Atem“). Das betont er immer wieder, aber Marianne Renoir (schönste Dame von Welt: Anna Karina, „Alphaville“) kümmert das kein Stück. Sie nennt ihn immer wieder Pierrot, schließlich kann man den Namen besser in einem Lied verwenden. Ferdinand führt ein sprödes Leben mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern, von denen nur fünfzig Prozent anwesend sind. Wirklich mögen tut er seine Familie nicht. Das klingt kaltherzig, ist aber mitnichten böse gemeint. Viel mehr lebt er mittlerweile in einer Art Dauerzustand, in dem niemand weiß, wie man Emotionen überhaupt buchstabiert. Seine Kinder gehen lieber ins Kino oder lauschen Ferdinand zwanghaft, wenn er ihnen aus einem Gedichtband für Erwachsene vorliest. Ein Leben so spröde, dass er ein T-Shirt mit seinem eigenen Namen trägt. Um sich selbst dran zu erinnern, wer er ist, sein sollte oder hätte sein können? Um der Welt etwas zu beweisen? Um seine Identität zu wahren? Oder, andersherum gedacht, um zu zeigen, dass sein Ich nur eine Hülle ist?

Wahrscheinlich sind alle Fragen gleichermaßen angebracht und komplett deplatziert. Eventuell geht es Godard bei dem Kleidungsstück Ferdinands nicht um die Wirkung auf die Außenwelt und Mitmenschen unserer Protagonisten, sondern um den Begriff der Identität und darum, wie weit man diesen Begriff eigentlich dehnen kann, bevor der Ursprung unkenntlich wird. Der Identitätsbegriff hat Ferdinand nie Sorgen bereitet, er wurde ja auch nie wirklich beachtet und kann sich nur wirklich über Dritte verständigen. Sobald er aber auf Marianne trifft und mit ihr Zeit verbringt, beweist Godard gleichzeitig dem Zuschauer, sich selbst und Ferdinand etwas - und all das vereint er so elegant, dass man einmal mehr nur den Hut ziehen kann. Ferdinand ist von einem langweiligen Abend bei seinen Schwiegereltern geflohen. Langweilig für ihn, nicht für den Zuschauer. Denn in diesem stilistisch äußerst interessant gestalteten Ort trifft Ferdinand auf den Samuel Fuller („Die Hölle von Korea“), der ihm erklärt, was Kino eigentlich ist. Emotion inmitten von Chaos, Herzrasen, Liebe und Hass ist die Antwort. Ferdinand scheint das nicht wirklich viel zu bedeuten, für „Elf Uhr nachts“ ist es jedoch die ganze Welt.

Doch während der Zuschauer im Idealfall um der Reichweite von Fullers Worten weiß, macht Ferdinand sich auf den Weg nach hause - wo er auf Marianne trifft und beschließt, sie ein Stück mit dem Auto mitzunehmen. Ferdinand, der Emotionen nicht wirklich kennt, in dessen Welt selbst Sinneserfahrungen schlicht rational aufgezählt werden. Reden langweilt, Sehen langweilt, Hören langweilt. Ehe langweilt, Scheidung ist zu anstrengend. Sein Leben ist ein Zustand konstanter anonymer Leere. Seine Farben auf der Autofahrt sind Blau und Gelb. Ihre, die sie die Emotionen und frische Lebensfreude darstellt, sind Rot und Grün. Die Farben, die über die Windschutzscheibe huschen, sie muten an wie ein Feuerwerk, wie eine Regung, eine Idee, die von Marianne („Alles was man für einen Film braucht, sind eine Waffe und ein Mädchen.“ - JLG) ausgeht und auf Ferdinand überspringt. Godard wird die Farben später noch variieren, welche auslassen und sie als Symbol für Gefahr, Freiheit, Versuchung, Gefühl und Erwägung nutzen. In dieser Szene ist klar und deutlich der Ursprung von Quentin Tarantinos Gastregie bei „Sin City“ zu finden.

Die Flucht der beiden schließlich, das Leben in bedrohlicher Freiheit, das Ferdinand und Marianne eingehen, ist geprägt von wundersamen Momenten. Als wäre alles zu schön, um wahr zu sein, als wäre die Geschichte bloß ein Produkt der Imagination von zwei Romantikern. Marianne nennt Ferdinand stets bei einem ausgedachten Namen (Pierrot), beide erzählen immer wieder verschiedene Versionen der Geschichte, reden aus der Erzähler-Perspektive manchmal gar durcheinander und springen in den Kapitel hin und her. Wer soll da schon mit Bestimmtheit sagen, was ist und was bloß sein sollte. Dabei ist es nicht so, dass Godard mit „Elf Uhr nachts“ einen surrealistischen Film inszeniert hätte. Aber er hat einen Film geschaffen, der nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern sich essayistisch mit dem Medium selbst beschäftigt.

Setzte Godard sich in seinem ersten Langfilm „Außer Atem“ noch mit dem Genre des Film Noir auseinander, untersucht er hier die Beziehung zwischen Publikum und Film und Wahrnehmung. Als Einführung lässt Jean-Luc Godard seine beiden Helden des amerikanischen Kinos auftauchen. Nicholas Ray („Ein einsamer Ort“), indem sein Film „Johnny Guitar“ erwähnt wird und Samuel Fuller mit einem Cameo-Auftritt. Godard folgt alsbald Fullers Definition von Kino und überprüft eben jenes; cinéma. Ein Begriff, der kein wirklich getreues deutsches Äquivalent besitzt und eine gehobenere Art des Films bezeichnet. Film als Kunst, als Medium eben - als Mittel zur Kommunikation und ein Gegenstand der Wissenschaft. Um dem Begriff weiter auf den Grund zu gehen, stellt Godard Realität vs. Darstellung, Natur vs. Drama, Tat vs. Versprechen und Wort vs. Gefühl. Es gibt eine Divergenz zwischen dem Gezeigten und dem Bewirkten; Godards Kino ist seit jeher ein Paradebeispiel dafür gewesen.

Fazit

Mit „Elf Uhr Nachts“ findet man einen Film von Jean-Luc Godard, der von melancholisch bis heiter jede Stimmung zielgenau zu treffen vermag. Für Einsteiger in das Werk Godards dürften hier hin und wieder Fragezeichen auftauchen, aber das gehört zu dem Schaffen des Franzosen dazu. Und der ist hier vergleichsweise wild unterwegs: Farbpaletten, komödiantisch getimte Klänge, wilde Montagen, einfallsreiche, suggestive Lichter und immer wieder seltsame Handlungen der Charaktere sind an der Tagesordnung. Wie immer gilt: Man muss ihn mögen, diesen selbstbewussten, teils unverschämt wirkenden Stil, der aber auch so herrlich abwechslungsreich ist, mal heiter-locker, dann wieder bittersüß über die Vergänglichkeit sinnierend. „Das Leben mag traurig sein, aber es ist immer schön.

Kritik: Levin Günther

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