Sieht man sich Riley Stearns‘ Filme an, könnte man den Eindruck gewinnen, er sei nicht besonders an der Welt interessiert, jedenfalls nicht an jener, wie er sie vorfindet. Denn während seine Welten unverkennbar der unseren ähneln, scheint doch irgendetwas versetzt, nicht ganz an seiner Position zu sein. Stearns beobachtet gewisse gesellschaftliche Tendenzen, spinnt sie weiter und überdehnt sie in der Folge ins Kinoformat. Wie Zerrbilder kommen diese Welten dann daher, doch der Impuls, der sie hervorrief, bleibt zu jedem Zeitpunkt sichtbar. Erkennbar war das in The Art of Self-Defense, den Stearns 2019 in seiner Heimatstadt Austin beim South by Southwest vorstellte, einer dunklen Komödie, die im Mikrokosmos eines Karate-Dōjōs die dort herrschende toxische Maskulinität bis an ihre Wurzeln verfolgt.
In seinem dritten Spielfilm Dual entwirft Stearns nun ein Szenario, das sich auf diese Weise überhaupt nur in der von ihm geschaffenen Welt zutragen kann. Ein Klon, der ob der nicht für möglich gehaltenen Genesung seines Originals das Recht auf die eigene Existenz einklagt, soll sich nun in einem Kampf um Leben und Tod mit seinem Original jenes Recht erstreiten. Das Original, das ist Sarah (Kareen Gillan, Guardians of the Galaxy), eine Frau, die sich nach der Arbeit einen Berg mexikanischen Essens im Drive-In für den Nachmittag auf dem heimischen Sofa ordert, um es sich anschließend mit ihrem Laptop und einem Porno mit dem Titel „Pool Orgy at Confirmed Haunted House“ bequem zu machen. Obgleich eine Frau ohne Eigenschaften, schließen wir Sarah dennoch schnell in unser Herz, wohl wissend, dass wenn wir es nicht tun, es auch sonst niemand tut. Nicht ihr fester Freund Peter (Beulah Koale, The Last Saint), der sich nur zu geistesabwesenden Video-Calls herablässt, und nicht ihre Mutter (Maija Paunio, Baby Jane), die ihr Albträume bereitet. Als ihr von ihrer Ärztin mit grotesker Bestimmtheit eine tödliche Krankheit im Endstadium diagnostiziert wird, bedeutet ihr diese, dass sich mit der Zukunft Beschäftigen nun vor allem heiße, sich mit ihrer anstehenden Beerdigung zu beschäftigen. Es ist eine furchtbar einsame Existenz, die Sarah führt, und als sie in der Folge ihrer Diagnose auf einen Werbespot (im herrlich ungelenken Stil der 90er-Jahre) stößt, in dem all jenen Personen, deren Lebenszeit sich ihrem Ende entgegenneigt, die Möglichkeit versprochen wird, ihrem sozialen Umfeld die Übergangszeit nach dem eigenen Dahinscheiden durch die Anfertigung eines äußerlich identischen Klons soweit wie möglich zu erleichtern, entschließt sie sich zur Bestellung eines solchen. Die Frage, die Sarahs Entscheidung angesichts ihres desinteressierten Umfelds zwangsläufig umkreist, ist eine bittere: Werden die ihrigen sie wirklich vermissen, sobald sie von ihnen gegangen ist? Brauchte es „Sarah's Double“ wirklich, die ihr, bis auf die Augenfarbe, gleicht?
Liest man diese letzten Sätze, so könnte man beinahe meinen, es handele sich bei Stearns Dual um einen schweres Drama, das in tristem Ton von der Vereinsamung des modernen Menschen erzählt. Tatsächlich könnte eine solche Auffassung nicht weiter davon entfernt sein, wie Stearns seinen Film anlegt. Wie schon das Debüt Faults aus dem Jahr 2014 und The Art of Self-Defense zeichnet sich Dual besonders durch einen ganz eigenen Humor aus, changierend zwischen der Absurdität eines Yorgos Lanthimos und der detachierten Grausamkeit einer Michael-Haneke-Figur. So überrascht es auch nicht, dass Stearns die Geschichte kurz darauf noch einmal völlig auf den Kopf stellt, als (wenngleich auf sehr vorhersehbare Weise) Sarah mitgeteilt wird, dass ihre „absolut unheilbare“ Krankheit vollends verschwunden, sie vollends genesen sei. An diesem Punkt beginnt Stearns, eine gesellschaftspolitische Ebene mit seiner Geschichte zu verweben, denn als „Sarah’s Double“, die sich im Laufe der Monate häuslich eingerichtet und das Herz ihres Partners und ihrer Mutter erobert hat, von der unverhofften Rekonvaleszenz ihres „Originals“ unterrichtet wird, lenkt sie daraufhin nicht einfach ein, sondern leitet alle rechtlichen Schritte ein, um ihr eigenes Existenzrecht gelten zu machen. Ohnehin würde Sarahs Umfeld sie schon der „echten“ Sarah bevorzugen. Und tatsächlich hat das Recht auch eine Antwort auf die Frage, wie mit der Situation einer obsoleten Zweitexistenz umzugehen sei: in einem Duell (Dual) um Leben und Tod, eins gegen eins.
Unübersehbar ist in diesen Momenten Stearns‘ Vorliebe für das Absurde, das Skurrile, das Abseitige. Am Absurdesten jedoch wird es in Dual immer dann, wenn uns die Absurdität auf der Leinwand an jene aus unserer Welt erinnert. Denn obzwar sich einwenden lässt, dass sich Stearns dieses Szenario eines menschliche Rechte einfordernden Klons erst selbst schaffen muss, so lässt sich darin doch eine Entwicklung erkennen, die wir innerhalb der letzten Jahre insbesondere in der politischen Hilflosigkeit westlicher Regierungen angesichts der neuesten Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne beobachten konnten. Es erinnert an das Unternehmen Facebook, das sich wiederholt vor internationalen Gerichten und im amerikanischen Senat verantworten musste, sei es aufgrund ihres Umgangs mit den Daten ihrer Kund*innen oder der Zurückhaltung von facebookinternen Studien, denen Zufolge sich Suizidrisiko und Unglücklichsein all jener jugendlichen in beträchtlichem Maße erhöhe, je mehr ihrer Zeit sie auf Plattformen wie Instagram verbringen würden. Ganz ähnlich, wie die großen Technologiekonzerne innerhalb der letzten Jahre der Politik immer wieder um einige Schritte vorauswaren, sodass nicht sanktioniert werden konnte, was faktisch noch nicht Präzedenz geworden war, so widmet sich Stearns hier einem Szenario, das tief in der gesellschaftspolitischen Logik seiner Welt verwurzelt ist. Das Existenzrecht, das der „Sarah’s double“ hier erfolgreich geltend macht, mutet ist durchaus dystopisch, aber eben doch nicht so sehr, dass es die Bewohner*innen dieser Welt nicht auf uramerikanische Weise verstünden, das Dilemma in ein großes Spektakel zu überführen. Ein paar Monate bleiben der einsamen Sarah nun, sich durch ein intensives Training auf den Kampf gegen sich selbst vorzubereiten, für das sie die Dienste Trents (Aaron Paul, Breaking Bad) in Anspruch nimmt, ein Coach, der sich mit seinem Studio auf exakt diese Art der Trainings spezialisiert hat.
Bis zum Ende behält sich Stearns die inszenatorische Eigenwilligkeit bei, die Dual zu so einer erfrischenden Vision einer dunklen Komödie macht. Es ist eine Welt wie unsere, doch komisch verschoben: Die Werbeclips wirken liebevoll trashy, als entstammten sie den frühen 2000ern, und während auch das Mobiliar und die klobig-kantigen Autos (etwa der alte Benz, den Sarah vor dem Haus ihrer Mutter stehen sieht) Zweifel daran aufkeimen lassen, dass wir es hier mit der Gegenwart zu tun haben, so steht dem gegenüber eine Forschung, die in der Lage ist, serienmäßig und binnen kürzester Zeit Klone herzustellen. Auch solche Details tragen zur Verunsicherung bei in dieser seltsam aus dem Gleichgewicht geratenen Welt von Dual. Wollte man indes an dieser herrlich trockenen Komödie etwas kritisieren, so äußerte sich diese Kritik womöglich darin, dass Stearns letztlich doch den einfachen Weg einer durch und durch gelungen Komödie wählt, was insbesondere deswegen wie eine verpasste Gelegenheit zum ganz großen Wurf anmutet, weil, je weiter wir in diese so originelle Welt und ihre Regeln eindringen, wir das Potenzial aufblitzen sehen, das Stearns noch nicht ganz in der Lage ist, in seine Geschichte zu überführen.