-„Sind alle Kinder da draußen wie ihr?“
-„Ja!“
Gott bewahre. Falls doch, wäre das vermutlich der wahre Grund für den Geburtenrückgang in Deutschland. Dabei sind die beiden neunmalklugen Knuddel-Gören mit dem unverwechselbaren Charme eines Til Schweiger-Drehbuchs mit Sicherheit nicht das Schlimmste an Die Rettung der uns bekannten Welt, bei dem der moderne Orson Welles des deutschen Kinos mal wieder alles rausballert, was praktisch jeden seiner Filme seit seinem großen Filmemacher-Durchbruch Keinohrhasen im Jahr 2007 schier unerträglich macht. Immer nach dem gleichen Muster und in seiner Unzumutbarkeit gefühlt immer gesteigert (stimmt nicht so ganz, denn Honig im Kopf ist nach wie vor unerreicht in seiner ekelhaften Scheinheiligkeit). Noch viel erschreckender ist dabei die Tatsache, dass er damit Erfolg hat. Dieser heiligt bekanntermaßen die Mittel und somit ist es gar nicht mal verwunderlich, dass wir immer den gleichen Mumpitz serviert bekommen. Die Rettung der uns bekannten Welt könnte lose als Mittelstück einer inoffiziellen Trilogie bezeichnet werden. Nach Honig im Kopf und vor Lieber Kurt. Til Schweiger nimmt ein ernstes Thema, heuchelt großes Betroffenheits- und Aufklärungskino vor (oder er meint das wirklich ernst, keine Ahnung was in dem Fall bedenklicher wäre) und schmiert es dem Publikum auf so eine ekelhafte Art und Weise in die Fresse, das sich alle in der Realität damit auseinandersetzende Menschen schlichtweg gedemütigt vorkommen müssen.
Diesmal mimt der Regisseur, Co-Autor, Produzent, Editor und das sowieso für alles verantwortliche Mastermind Hardy, einen verwitweten, alleinerziehenden Vater. Seine beiden Jüngsten sind noch ziemlich klein und erfreuen ihre Umwelt mit allerlei altklugen Kommentaren („Willst du ne echte Bollo oder glückliche Kühe? Deine Entscheidung, Bruder“) oder sorgen wann immer benötigt (?) für die unverzichtbaren Pimmel-Kacka-Jokes („Pups hat Leberflecken am Puller“), da das bei Schweiger immer zieht. Das eigentliche Sorgenkind ist aber der fast schon erwachsene Paul (Emilio Sakraya, Rheingold), der eindeutig an einer bipolaren Störung leidet. Das merkt nur irgendwie keiner. Weder Papa Hardy, der immer noch tief trauert und als Architekt schließlich die Kohle ranschaffen muss, noch die Schule, in der Paul MEHRFACH & EXTREM aus der Reihe tanzt. Selbst, als der nach dem x-ten Krisengespräch bei der Rektorin dort direkt vom Balkon springt, andauernd irgendwelche komplett überdrehten Aktionen startet oder zulässt, dass die Kiddies daheim die Küche in die Luft sprengen. Da ist man natürlich sauer, aber eine entsprechende Ursachenforschung findet nicht statt. Erst als er nach einem gescheiterten Suizid-Versuch selbst um Hilfe bettelt, wird der Vater des Jahres aktiv und verschafft ihm einen Platz in einer Jugend-Psychiatrie. Und man mag es kaum glauben, bis jetzt reden wir noch über den besseren Teil des Films.
So wie hier präsentiert, stellt sich wohl höchsten ein 10jähriger eine Psychiatrie vor. Da werden einen Handvoll Adoleszente mit den klischeevollsten Macken dargestellt in einem „Alltag“, der noch weltfremder ist als die abstrusen und gnadenlos überzeichneten Dialoge und Charakterisierungen, mit dem man ohnehin schon die ganze Zeit gefoltert wird. Die diesbezüglichen Highlights sind wohl Charlotte Krause (Manta Manta – Zwoter Teil) als Asperger-Caro, die wie eine schlechte Parodie von Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory wirkt (der ja schon eine extrem plakative Kopie eines Asperger-Autisten darstellt) und damit bezeichnend dafür ist, wie ernst das Thema wirklich genommen wird bzw. wie sehr sich jemand im Vorfeld damit beschäftigt hat, wenn eine US-Sitcom quasi die Vorlage liefert. Chapeau. Der golden Schweiger geht aber – in bester Familientradition – an Emma Schweiger (Kokowääh), deren Darstellung so absurd scheußlich ist, dass es einem eiskalt den Rücken runterläuft. Dieses ganze Setting dient in erster Linie dazu, dass Paul schließlich mit der liebgewonnen Tourette-(was sonst?)Leidensgenossin (Tijan Marei, Rumspringa) abhaut. Wohin? Na logo, zum Meer. Was den ehrlich-selbstironischen Moment des Films zulässt, wenn die beiden feststellen „Leute wie wir fahren doch immer zum Meer.“ Zumindest in deutschen Filmen dieser Machart. Ganz ehrlich: das war in dem Kontext der einzige gute (und vermutlich sogar gewollte) Gag im Film. Immerhin.
Ach so, was macht denn eigentlich die Restfamilie in der Zeit, schließlich müssen die üppigen 135 Minuten noch gefüllt werden und Til Schweiger will doch auch seine Screentime. Dafür gibt es seine „beste Freundin“ und Arbeitskollegin. Bettina Lamprecht (Kohlrabenschwarz) als Annie ist hier leider die ärmste Sau. Die muss dauergrinsend (das kann doch nicht gesund sein) ihren heimlichen Schwarm anhimmeln und ihr fällt das debile Lächeln nur dann ganz kurz aus der Visage, als sie erfährt, dass der fesche Hardy ein Online-Date hat. Merkt der nicht, aber das sein Sohn dringend Hilfe braucht ja auch nicht, von daher passt das schon. In der überflüssige(re)n Nebenhandlung rumpeln sich Annie und Hardy langsam ineinander, gekrönt von einer Szene, wie es sie wirklich nur in einem Til Schweiger-Film geben kann. Während Annie unter der Dusche steht, kommt Hardy ins Bad und setzt sich auf die Toilette. Als sich die Dame zu erkennen gibt, ist Hardy leider schon mitten im großen Geschäft und damit er in Ruhe fertig scheißen kann, singt diese „Er gehört zu mir“, während sich die knuffigen Kuppel-Kids an der Tür kaputtlachen, schließlich wird gerade gekackt und gefurzt. Es ist so herrlich.
Na ja, aber genug gelacht, denn eigentlich ist das hier ja ein ganz wichtiger und berührender Film, was man zwischen diesen ganzen Bummsfallera-Humor-Unfällen versucht überdeutlich in den Vordergrund zu prügeln. Was bei Til Schweiger bedeutet, dass sich die konstant mitdudelnde Tonspur abwechselt zwischen melodramatischer Sülze und der eigene Spotify Playlist zum Mitpromoten, am Ende auf einmal alle mit der ganz großen Empathie-Keule totgeschlagen werden, nachdem vieles vorher lieber für billige Lacher ausgeschlachtet wurde und es natürlich noch die Moral von der Geschichte gibt, die schon bei Honig im Kopf an Verlogenheit kaum zu überbieten ist. Dann schmeiße ich halt (als alleinerziehender Dreifachvater) eben meinen Job oder riskiere eine krasse Gehaltseinbuße, Familie ist wichtiger. Stimmt schon, aber in welcher Welt – die hier ja angeblich schon „mitfühlend“ und „authentisch“ gezeichnet wird – kann man das einfach so machen? Da dreht sich die neue Patchwork-Familie am Ende happy im Karussell und alles ist wieder gut. Als wenn sich jeder aussuchen könnte, dass er sich nun Voll- oder nur Teilzeit einfach so um seine Hilfebedürftigen Angehörigen kümmern könnte, wenn er nur will.
Eine Sache soll aber wenigstes positiv erwähnt werden: Emilio Sakraya hat Talent. Einen guten Schauspieler erkennt man noch eher in schlechten Filmen und aus der Warte betrachtet ist das fast ein Glücksgriff für ihn. Er kann schließlich nichts dafür, dass seine Rolle so furchtbar geschrieben ist und er vermutlich angehalten wurden, derart zu überpacen. Aber er zeigt viel Engagement und die Bereitschaft, auf Knopfdruck Vollgas zu geben. Der hat was. Damit wurde Nicolas Cage zum Weltstar. Gebt dem guten Rollen, dann wird es spannend.